Synchron getanzte Bankette
Gabriel Pitonis Tanzstück „Next To Me“ im Regensburger Antoniushaus
Sieben Uraufführungen beim Dance Lab am Theater Regensburg
Aus der Fabrik ist ein Labor geworden, ein Arbeitsraum in dem geforscht, geprüft, experimentiert und kontrolliert wird. Dance Lab heißt das neue Format am Theater Regensburg innerhalb dessen Mitgliedern der Tanzcompany die Möglichkeit geboten wird, ihre eigene künstlerische Handschrift zu entwickeln, weiterzuentwickeln und choreografische Ideen umzusetzen. Chefchoreograf Wagner Moreira, der die künstlerische Gesamtleitung innehat, und Intendanz setzen damit die Idee der Vorgänger unter verändertem Vorzeichen fort.
Sieben unterschiedliche Stücke sind dabei entstanden, die bei der Uraufführung eines überdeutlich machten – im neuen, zehnköpfigen Ensemble ist jede Menge Talent und kreatives Potential vorhanden. Inhaltliche Vorgabe war einzig das Spielzeitmotto „Wahrheiten“ und die Übernahme der Verantwortung für Bühne und Kostüm. Technisch kam hinzu, dass das Haidplatztheater über die kleinste Bühne der vier Spielstätten des Theaters verfügt.
Auf den Kopf gestellt, nähern sich die Tanzenden (Natsuho Matsumoto, Leander Veizi) in „Each man kills the things he loves“ von Vincent Wodrich, wenn sie auf einem Tisch liegend unter diesem turteln. Der Tisch ist Dreh- und Angelpunkt für die feinfühlige Choreografie über Anziehung und Abstoßung, Distanz und Nähe. In ruhiger Weise entwickelt Wodrich dieses urmenschliche fragile Gleichgewicht mit nachvollziehbaren Bewegungsmustern, Fallhöhe und feinem Humor. Ein Tanz mit zwei Herzen, aus Lehm wie sich herausstellt, auch „A step backwards“ von Natsuho Matsumoto mit Momoe Kawamura und Chih-Yuan Yang, dem „Tänzer mit dem schönsten Lachen“, wie sich Zuschauer*innen übereinstimmend austauschten. In zitternden, ruckartigen, anschmiegsamen Bewegungen tragen die zwei ihr Herz in Händen. Sie lassen sich davon leiten, nähern sich, gehen auf Distanz. Bis sie ihn schließlich mit dem (Herz-)Lehm an den Füssen einbetoniert, zu latinbetontem Hawaii-Pop (fast) zur Bewegungslosigkeit verdammt. Ein bittersüßes Spiel.
Mit Putzeimern und Leitern rückt Win McCain in seiner dynamischen Auseinandersetzung „Technical diffculties“ die Menschen hinter der Bühne ins Zentrum. An Seilzügen hängen Natsuho Matsumoto und Vincent Wodrich, geführt, gehalten, gelenkt und vielleicht auch manipuliert von Chih-Yuan Yang, Win McCain, Fatima Lopez Garcia und Bérénice Durozey. Unterlegt von einem englischen Text und düsterer Musik ist es eines der spannendsten Stücke im wahnwitzigen Bemühen zueinander zu kommen, auseinandergerissen zu werden und schließlich von den Fesseln befreit alleine zu sein.
„Wohin willst du gehen?“ „Nach Hause.“ „Wo bist du zuhause“ sind Fragen, die sich Chih-Yuan Yang in „Just a little second longer“ stellt. Als er durch einen heftigen Sturm mit fünf anderen Menschen zufällig zusammengewürfelt wird, beginnt ein teils absurd anmutender Reigen seltsamer Figuren, Gekicher und Näherungen, die durch wechselnde Licht- und Musikstimmungen wirkungsvoll eingeleitet und unterstützt werden. Verlassen von allen veranschaulicht Chih-Yuan Yang am Schluss in einem großartigen Solo seine Trauer und Einsamkeit. Aus dem Alleinsein kommend begegnen sich Leander Veizi, Vittoria Carpegna und Pedro Henrique Ferreira (auch Choreografie) in „Remembrance“ im Tanz, der sich nur vordergründig zu einer ménage à trois entwickelt. Zu einem poetischen a-capella-Song von Zé Miguel Wisnik brechen sich Emotionen Bahn. Am Ende verlaufen sich die inneren und äußeren Berührungen und Bewegungen im blauen Licht einer vielleicht nur geträumten Wirklichkeit.
Mit ihren „Normal People“ liefert Bérénice Durozey, die mit Win McCain auch selbst tanzt, den amüsantesten Teil des so verschiedenartigen Tanzabends. Zu Latinswing kaut er in Unterwäsche auf einem Sandwich herum, mit dem er sich anschließend einen absurden Tanz liefert. Der durchaus ernste Hintergrund eines angepassten Lebens in einer zunehmend genormten Gesellschaft geht in der parodistischen Form des Tanzes teilweise unter. Heftig zur Sache geht es manchmal in „Ich und wir“ von Leander Veizi, der mit seiner verrätselten Choreografie die Verbindungen, Motive und Identitäten untereinander untersucht. An einen Ballon gefesselt bewegt sich Fatima Garcia López in Sprüngen über die kleine Bühne, stößt an Vittoria Carpegna und Vincent Wodrich ohne dass immer klar wird, warum etwas passiert. Einzig die verbal und tänzerisch nachdrücklich eingeforderte „change“, Veränderung, gehört zu den Konstanten eines unsicheren Lebens.
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