Tango zwischen Teppich und Kampfarena
Regensburger Tanztage II: Die neue Tanzplattform ChoreoLab TanzSüd begeistert mit ihrer ersten Produktion
Regensburger Tanztage I: Bei der Solotanznacht in Regensburg stellen sechs junge Tänzer*innen und Choreograf*innen preisgekrönte Stücke vor
Am Schluss, als die anderen Tänzer bereits am Gehen sind, schaut sich Louis Gillard suchend um. Am Rand der Tanzfläche findet er eine Mütze, murmelt etwas von „für sie getanzt“ und „bitten um Spende“ und platziert die Kopfbedeckung so, dass die Besucher der Solotanznacht daran vorbei gehen müssen. Eine Aufforderung, ein Mitfühlappell, von dem man nicht weiß, ist er ernst gemeint oder Teil der Performance des französischen Künstlers.
Bereits vor Beginn der Vorstellung im Uni-Theater ist der große Mann im Schlapperlook, mit mächtigem, leicht rötlichen Bart aufgefallen, als er sich im Schneidersitz seitlich der Zuschauertribüne auf den Boden setzte. Es begintt eine selbstironische, gewitzte Vorstellung aus gespielter Lässigkeit und Übermut. Gillard hüpft, springt und steht sinnend, ganz ohne Musik und Sounds, als überlege er mit welchem Streich er das Publikum als nächstes zum Lachen bringen oder es eher noch verunsichern kann. „Pif paf pouf“ ist ein ebenso unterhaltsames, wie selbst reflektierendes, das eigene Verhältnis zum Tanz auslotendes Happening, das mit dem Publikum spielt und kommuniziert. Dazu gehört auch, es ein wenig hinters Licht zu führen.
Alle sechs Solodarbietungen, die hier auf den Regensburger Tanztagen gezeigt werden, stammen von Preisträger*innen des Solo-Tanz-theater-Festivals in Stuttgart. Meist sind sind sichtlich ernster und dramatischer im tänzerischen Ausdruck wie im inhaltlichen Anliegen. Viele setzen sich mit gesellschaftlich höchst relevanten Themen wie Identität, persönlicher Akzeptanz und Überwindung von Zwängen und Konventionen auseinander.
Eine eigenwillige Choreografie von Lukas Karvelis bietet die litauische Tänzerin Dominyka Markevičiuté mit „She Dreamt of Being Washed Away To the Coast“. Der Tanz findet fast ausschließlich am Boden statt, wo sich Markevičiuté mit festgezurrten Händen wie ein Wurm oder eine Schlange windet, dreht und über seitlich Drehungen kriecht. Die Geschichte, laut Programmheft, dreht sich um die Meeresgöttin Juraté, „die Schöpferin aller Lebewesen“. Am Boden beginnen auch die Choreografien, „Drown“ von Liao Szu-Wei, der auch selbst tanzt, und „Saudade“ von Carlos Aller, kraftvoll und mit fast kämpferischer Attacke getanzt von der Italienerin Cecilia Bartolino. Begleitet wird Szu-Weis zuweilen depressiv wirkende Zwiesprache mit dem eigenen Unterbewusstsein von einer Off-Stimme und pathetischer Musik. Am Schluss findet er seinen Frieden und verortet er sich in der Welt.
Schwieriger findet Nunzia Picciallo einen angemessenen Platz für sich mit ihrer mutigen, selbstentblößenden Choreografie „WAMI“, was soviel bedeutet wie „What AM I“. Was oder wer bin ich, setzt sich auf eine beinahe rührend offene, tänzerisch weiträumige Weise mit der Frage auseinander, ob es überhaupt notwendig is, nach dem Geschlecht zu fragen, sich einer binären Einordnung zuzurechnen. Oder ob es nicht gescheiter wäre, sich dem zu entziehen und von solchen sexuellen Zuschreibungen und Festlegungen ganz zu lösen. Eine tänzerisch expressive und provokative Stellungnahme von großer Aktualität.
Im Gewand eines buddhistischen Mönches tanzt Charles Brecard aus dem französischsprachigen Kanada das von ihm entwickelte Stück „Il pleut, il plaint, il rage“ über die Transformation eines Menschen, der Rationalität und Moral hinter sich lässt. Zu folkloristischen Ethnosounds wandelt sich der Tänzer mit zunehmendem Furor, der sich in Mimik und Gestik abzeichnet, zu einer heimtückischen Fratze. Mit gelungener Dramaturgie und tänzerischer Raffinesse steuert Brecard auf ein dramatisches Ende zu – und geht würgend und schreiend unter. Ein ebenso spannender wie aufschlussreicher Einblick in die jüngsten Entwicklungen der internationalen Tanzszene.
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