Synchron getanzte Bankette
Gabriel Pitonis Tanzstück „Next To Me“ im Regensburger Antoniushaus
Auf der schummrig beleuchteten DEZ-Bühne wird Simone Elliott für ihre Uraufführung „I forgot to remember“ stürmisch gefeiert
„Das hast du getan! sagt mein Gedächtnis. Das kannst du nicht getan haben! sagt mein Stolz. Endlich gibt mein Gedächtnis nach.“ In dieser vermutlich nicht sarkastisch gemeinten Äußerung Friedrich Nietzsches steckt viel von der Essenz von Simone Elliotts Tanzstück „I Forgot to Remember“. Mit dem von der Choreografin und Tänzerin neu formierten „Elliott Dance Collective“ erlebte das Werk über das Erinnern und Vergessen auf der DEZ-Bühne eine stehend gefeierte Uraufführung. Nach Abklingen des Beifallsorkans meinte eine Zuschauerin mit oberpfälzischem Understatement zu ihrer Nachbarin: „Nicht schlecht, sapperlot!“
Da lässt sich noch ein ordentliches Pfund Anerkennung draufpacken. Angefangen bei der räumlichen Situation mit dem mittig aufgezogenen Tanzboden, beginnt das Ensemble hinter den rundum platzierten Zuschauern aus dem Dunkel heraus nervös hin und her zu laufen. Gedankenverloren bleiben Tänzer an den Ecken stehen, drehen sich um, blenden aus, laufen schneller, geraten in Panik. Mit verkrampftem Oberkörper trippelt und hüpft ein Tänzer (Yosuke Kusano) über die Bühne, dass sich beim Zuschauen fast der Magen umdreht ob dem zwanghaften Ausgeliefertsein. Hat er etwas verdrängt, vergessen, unterdrückt?
Schreie von Möwen und anderen Vögel mischen sich wie Warnrufe in den eingespielten Sound, verwehen langsam und leiten über zu einer neuen Szene, einem dramatischen Duett zwischen Elliott und Alessio Burani. Wie Kusano und Tiana Lara Hogan war auch er mit Elliott mehrere Spielzeiten im Tanzensemble des Regensburger Theaters engagiert. Dann ist Elliott ausgestiegen, um frei arbeiten zu können. Mit dem Angebot von Turmtheater-Chefin Undine Schneider ein abendfüllendes Stück zu kreieren hat sie sich endgültig als neue, sehr interessante Stimme in der (ost-)bayerischen Tanzszene etabliert. Für das Tanzfabrik-Format am Stadttheater ist sie bereits zuvor mit einigen kürzeren Choreografien aufgefallen.
„I Forgot to Remember“ ist nach sieben Kurzgeschichten entstanden, in denen Simones Schwester Sofie Mykiel Elliott Bezug auf ein Buch des Psychologieprofessors Daniel Schacter nimmt. Angelehnt an die sieben Todsünden hat sich dieser forschend mit den „sieben Sünden“ des menschlichen Gedächtnisses beschäftigt. Dabei geht es schlicht darum, wie wir (uns) erinnern und etwas vergessen. Diese populär als Sünden betitelte Formen beleuchtet der Autor in sieben Kapiteln. Von der Vergänglichkeit über die falsche Zuordnung und die aktuell weltweit so wuchtige Beeinflussbarkeit bis zur Blockierung, wenn einem buchstäblich ein Wort auf der Zunge liegt (aber nicht raus will), spannt er den Bogen unseres trügerischen Gedächtnisses.
Elliott hat daraus mit dem Collective eine anrührende, aufrüttelnde, gelegentlich erschreckende und vergnügliche Episodengeschichte geschaffen. Ihr geht es – auch – um die Balance, weil Vergessen keineswegs nur negativ und Erinnern nicht einseitig positiv ist. Emotional packend und auf hohem Niveau grandios getanzt, spürt man die starke persönliche und emotionale Verbundenheit, die bereits im Ensemble des Theaters zu herausragenden Leistungen geführt hat. Daran kann Elliott auch mit Melanie Old, die als Tänzerin von außerhalb dazu gestoßen ist, und David Nigro anknüpfen, der für den weitgefächerten Sound verantwortlich zeichnet. In jeder Hinsicht ein großer Gewinn für die Kulturstadt Regensburg, auch wenn die technisch schwer zu bewältigende Beleuchtung manchmal zu schummrig daherkommt.
Weitere Vorstellungen: Sonntag, 18. September, sowie am 27., 28. und 29. Oktober jeweils um 19:30 Uhr auf der DEZ-Bühne, Karten sind über okticket.de erhältlich, weitere Aufführungstermine im April 2023.
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