„Rhythm and Silence“ von Stephan Herwig

„Rhythm and Silence“ von Stephan Herwig

Schön anzusehen

Halbzeit bei der Tanzwerkstatt Europa 2020 in München

Cindy van Ackers „Shadowpieces“, Yoann Bourgeois‘ „Fugue Trampoline“ und Stephan Herwigs „Rhythm & Silence“ arbeiten mit und trotzen den aktuellen Bedingungen unter Covid 19 jeweils auf ihre Weise.

München, 06/08/2020

Man kommt nicht umhin, es einmal anzusprechen: Die strengen Auflagen für Kulturveranstaltungen – wie das dosiert über farbige Markierungen reglementierte Einlass- und reihenweise stockende Ausgangsprozedere für jede Performance oder die an jedem Spielort auf großen Abstand getrimmte Sitzverteilung – beeinflussen zunehmend unser Wahrnehmungsempfinden. Sich dieser Sensibilisierung zu entziehen, geht kaum. Also mischt Corona bei der Rezeption von Stücken mit – bewusst oder unbewusst. Ob das nun generell schlecht, nachhaltig oder bisweilen sogar gut ist, sei dahingestellt. Vorerst noch.

Wer allerdings im vergangenen November die Uraufführung von Stephan Herwigs „Rhythm & Silence“ miterlebt hatte, musste angesichts der Wiederaufnahme des stark durchstrukturierten Werks im Rahmen der Tanzwerkstatt Europa leider feststellen, dass ausgerechnet die damals mit größter Sogwirkung in Erinnerung gebliebene Passage – verklammerte Bewegungen im Slow-Motion-Effekt – getilgt wurde. Sie fiel wohl dem Haushalte trennenden Künstlerschutz zum Opfer und wurde in eine elegisch-zeitlupenhafte Sequenz aus an Muskelkraft zehrendem Dahinkriechen umchoreografiert. Zwar auch schön anzusehen, nun konterkarierte aber kein peitschender Dancefloor-Beat mehr die reglose Stille der immer wieder in ihren Schrittabläufen verharrenden Tänzerinnen (Anna Fontanet, Susanne Schneider) und Tänzer (Gaetano Badalamenti, Maxwell McCarthy).

Noch ganz vom Erleben der höchst emphatischen, in enger Beziehung zwischen Tanz und Musik ausgefeilten Soli gefangen, die die fünf technisch hypersmarten von Cindy van Acker ins Rennen geschickten Interpret*innen zwei Abende zuvor in der Muffathalle vorgestellt hatten, überwältige die von Herwig im Schwere Reiter heraufbeschworene Intensität weit weniger. Das Vokabular wirkte einfach kantiger. Ständig neue Raumkonstellationen, Lichteinstellungen und Paar- bzw. Viererbegegnungen fungierten als Staustufen im Gesamtfluss. Dennoch erreichten die Münchner zum Schluss ihr beabsichtigtes Ziel, verschiedene Texturen von Rhythmus sichtbar zu machen.

Dass Cindy van Acker eine Vergangenheit als Tänzerin des Royal Ballet of Flanders und Genfer Grand Théâtre hat, sieht man ihren „Shadowpieces“ an. Auch wenn alle Einzelstudien (insgesamt sind es elf) im Dialog mit den jeweiligen Protagonist*innen entwickelt wurden. Doch die stets sehr eigene Bewegungsqualität, Dynamik, Energie und Wahl der Musik konnte am Ende eines mit Workshopeinheiten gefüllten Tags ebenso schlauchen wie faszinieren.

Im kleinen Ampere führte Mika Vainio eine Art kurzen Probendurchlauf vor. Dann lösten sich in vollendeter tänzerischer Perfektion Daniela Zaghini, Stéphanie Bayle und Sonia Garcia auf der großen Bühne ab. Sie sorgten für ein Staunen über die reinste Form des sich Ausdrückens, über tiefgehende Zustände und geometrische Formen – allein durch den Körper abgebildet. Zuletzt trat Matthieu Chayrigues zu Morton Feldmans „The Rothko Chapel“ auf. Länger als seine Kolleginnen. Nicht alle Zuschauer hielten das bis zum Ende aus.

Ihre Feuertaufe als junge Nachwuchschoreograf*innen bestanden Sonntagabend bei „Who’s next? Open Stage“ jeweils mit Soloarbeiten Kamee Fireling („Solo“), Jeanne Laktis & Flóra Boros („Paradox“), Deva Schubert & Juan Felipe Amaya Gonzalez („viralRELOAD“) und Alma Edelstein („Ode to Phanes“). Mit insgesamt vier stimmlich und atmosphärisch unterschiedlichen Beiträgen fiel das Überraschungsformat diesmal knapper und dichter als in den Vorjahren aus.

Das Picknick im Garten des französischen Kulturinstituts schluckte am Sonntag der Regen. Nicht fortgespült wurde die heitere Stimmung unter den Besucher*innen des in die Innenräume verlegten Symposiums. Alle, die bereits vor Ort waren, bekamen dem Wetter zum Trotz Gelegenheit, Damien Droin in vier von fünf geplanten Durchläufen draußen über einen Zweitreppenholzbau schweben zu sehen. Der poetische Street-Art-Parcour – von Yoann Bourgeois unter dem Titel „Fugue Trampoline“ zu Philip Glass‘ meditativ dahinplätschernden Klängen „Metamorphosis 2“ erdacht – betörte. Das kaschierte Trampolin verlieh dem Motiv des ständigen Fallens und Sich-Wieder-Aufrappelns irre Leichtigkeit. Schade, dass Droin bei seinem ersten regenfreien Auftritt um 16 Uhr einen Tick zu früh auf der Decke im Rasen landete.
 

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