Etwas vergeigt, viel gewonnen
Zum zwölften Mal zeigt „Schleudertraum“ zeitgenössischen Tanz in Regensburg
Leise Gespräche, Gläser klirren, ein Video im Bug des Schiffes. Am Ufer spazieren Menschen vorbei, lachen, schauen neugierig zu der im Fluss schaukelnden Barke, auf der unter einem Sonnensegel die Videoinstallation Naturereignisse mal abbildet, verlangsamt oder verzerrt. Manchmal schauen die Besucher auf der Ruthof, einem Museumsschiff in Regensburg, den tropfenden Zweigen und windbewegten Bäumen zu, die an der ersten Station der Tanzperformance „Rivers 2“ über die Leinwand flimmern. Auf ein unsichtbares Zeichen hin setzen sie sich in Bewegung, steigen durch eine schmale Tür die steile Treppe hinunter ins Vordeck. Zwischen großen Vitrinen schraubt sich eine erdfarben gekleidete Tänzerin (Gabriele Nirschl) aus einer liegenden Position langsam in die Vertikale, umtanzt die Schaukästen und die teils ein wenig verunsicherten Zuschauer, die sich bemühen, möglichst viel vom Tanz mitzubekommen.
„Rivers 2“ nennen die Choreografinnen Katrin Hofreiter und die Österreicherin Katharina Weinhuber ihr Konzept, mit dem sie an mehreren Stationen unter und über Deck das dampfgetriebene Museumsschiff mit fünf Tänzerinnen erkunden. Im Maschinenraum mit schwarz glänzenden Kesseln kauert die nächste Tänzerin (Susanne Baur) zwischen Gestängen, Rohren und Leitern auf dem metallenen Boden. Seitlich angestrahlt von einem Scheinwerfer und eingehüllt in Trockennebel, der sich immer weiter ausbreitet, wirkt die weiß gekleidete und geschminkte Figur wie eine geisterhafte Erscheinung, eine „Weiße Frau“ von der gleichermaßen etwas Bedrohliches, wie ein verheißungsvolles Erlösungsversprechen auszugehen scheint.
Die Ambivalenz kippt im Heck, das man durch schmale Gänge und Engstellen erreicht – zunächst – in Distanz und Abwehr. Von einer kohlrabenschwarz geschminkten Tänzerin (Marina Manganotti) geht ein faszinierendes Gefühl von Angstlust aus. Mit schwarzem Kopftuch, einem kaftanartigen Gewand und expressionistisch überhöhenden Schatten an der Schiffswand erscheint sie auch sehr groß, fast übergroß. Begleitet werden diese Stationen von rauschenden, wild gurgelnden und unbehaglich strömenden Wassergeräuschen. Damit wird der unmittelbare Charakter des Flusses auf virtueller Ebene verstärkt, der gleichzeitig entgrenzend und verbindend ist. Damit können die fast verharrend langsamen, strudeligen und sich aufbäumenden Tanzbewegungen als Eigenschaften des Wassers aufnehmende Choreografie gelesen werden. Oder sie zielt auf atmosphärische Momente und mythisch aufgeladene Stimmungen von Sumpf- und Nebelgeistern, gibt damit aber auch Rätsel auf.
Auf dem Oberdeck entwickelten die Tänzerinnen Laura Meissauer und Katharina Weinhuber die spannende Performance in weitere „Zwischenräume“ weiter, wie der Tanzabend überschrieben war. Zu neoromantisch einfacher und repetierender Musik des Isländers Olafur Arnalds, von Nils Frahm und dem Kronos Quartett befreite sich die eine unter Schmerzen aus beengenden Fesseln, inneren wie äußeren Zwängen, die andere präsentierte schwungvoll und voller Stolz ihre Schwangerschaft und projizierte mit dem Spiel ihrer Hände und nackten Füße an der Steuermann-Kabine die Neuentdeckung der Welt. Im Ergebnis war es – bei lauer Nachtluft – ein tolles Experiment, ein interessantes und Neugierde anstachelndes Erlebnis im Rahmen des von Katrin Hofreiter und Alexandra Karabelas initiierten CiRR – Choreographers in Residence Program. Entbehrlich erschien die Videoprojektion, und tänzerisch hätte man sich an der einen oder anderen Station, trotz vorgegebener beengter Verhältnisse, ein wenig mehr gewünscht. Beeindruckend wirkte die vielseitig pädagogisch tätige Österreicherin Weinhuber.
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