NEWSROOM - #2
Die neueste Folge unserer Newssendung zu Tanz aus Bayern
Aaaaaaaaahhhhhh!!! Zwei Männer schreien sich gegenseitig an. Werden dabei immer lauter. Laufen währenddessen langsam aufeinander zu. Bis sie sich irgendwann ganz nah gegenüberstehen, weiterhin schreien und tief in die Augen blicken. Ihre Münder treffen sich. Es sieht aus, als ob sie sich gegenseitig beatmen würden. Die beiden legen sich auf den Boden, die Münder immer noch verbunden. Und dort bleiben sie erst einmal liegen.
So beginnt „Unstern“, die neue Tanzperformance von Moritz Ostruschnjak, die im Schwere Reiter ihre Premiere feierte. Der Titel ist die Bezeichnung für ein schlechtes Omen und das Programmheft besagt, dass die Performance „in kaleidoskophaften Szenen den Moment vor der Katastrophe beleuchtet; jene Melange aus Gewaltbereitschaft, nationalistischer Propaganda, beginnendem Kriegsgeheul, Machismo und Verunsicherung“. Eigentlich sollte das Stück wie der kriegseuphorische Schlachtruf „HURRA!“ heißen. Doch änderte sich dies während der Proben, und der Fokus ging von den Mechanismen kollektiver Gewalt, die durch die Verbindung von Live-Musik und Tanz dargestellt werden sollten, hin zur Betrachtung des Aufkeimens eines universellen und aktuell-zukünftigen Unheilsgefühl in der Gesellschaft mit historischer Rückschau.
Und so ändern sich denn auch die auf der Bühne Liegenden. Eine der beiden Personen wird ausgetauscht und verharrt in gleicher Position auf dem Boden. Bis die zweite ebenfalls ausgetauscht wird; bald tanzen sie durch den Raum, sind stets über den Mund miteinander verbunden, dem Körperteil der Sprache und des Atems und verrenken sich ohne voneinander abzulassen. Auf die Thematik der Performance übertragen: Abstrakt wird perfides Gedankengut unablässlich weitergegeben, aufrecht erhalten und aus Gemeinschaften genährt, die beinahe nach Erlösung in gleichgesinnten Gruppen suchen. In „Unstern“ sind das eben nationalistische, faschistische und rassistische mit gewaltbereiten Mechanismen. Tagesaktuell also.
Die vier tollen Performer*innen – Eli Cohen, Antoine Roux-Briffaud, Gaetano Badalamenti und Lazare Huet – verkörpern diese Inhalte von Disziplin, Manipulation, Dominanz, Macht und Unterwerfung und Uneigenständigkeit. Neben ganz einfachem Hinterherlaufen werden hervorragende tänzerische Bilder gefunden. Beispielsweise halten sich die Performer*innen die flachen Hände über dem Kopf zusammen und eröffnen so die Interpretation zur Kutte des Ku-Klux-Klans, dem Inbegriff der rassistischen Vereinigung. Oder sie bilden in Gemeinschaft mit ihren Fingern sternförmige Symbole, die sie als Gruppe definiert und eint. Parallelen zum Dritten Reich sind schnell hergestellt.
Die stärkste Szene in „Unstern“ ist jedoch die, in der sich Antoine Roux-Briffaud elegant von rechts nach links über die Bühne bewegt; den einen Arm nach vorne gestreckt und zur Faust geballt, den anderen nach hinten. Er trippelt, schüttelt den Kopf und verändert seine Laufgeschwindigkeit. Er ist Reiter und Pferd zugleich. Ein autoritärer Zentaur. Napoleon und sein Pferd Marengo in einem. Diese Assoziation ist gut aufgebaut, sang Roux-Briffaud kurz zuvor ja noch „Le chant du départ“, das Kriegslied von 1794, das die Bereitschaft propagiert für das französische Vaterland zu sterben und sich der Republik zu verschreiben. Unter Napoleon war es sogar französische Nationalhymne. Diese feine, durchdachte Szene lässt jedoch auch Interpretationen zum Sonnenkönig, zu Dressur, Zwang, Macht, Kampf und Krieg zu. Alles auf einmal ist aus diesem Bild ab- und reinlesbar. Es taucht später nochmals auf, als alle vier Performer*innen gemeinsam diese Bewegungen ausführen und sich so zum Hofstaat oder zur Gefolgschaft und Anhängerschaft machen.
Unterstützt wird dieses choreografische Kaleidoskop von „Unstern“ durch eine riesige Leinwand an der hinteren Bühnenwand, auf der etliche Fotos abgespult werden. Projektionen von Krisen, Krieg, Katastrophen, Zerstörung und immer wieder Waffen. Alles was tagtäglich stattfindet und in der medial dominierten Welt sichtbar und von jedem einsehbar ist.
Hat sich Ostruschnjak in seinem letzten Stück „BOIDS“ (2017) mit der Zukunft beschäftigt, so kehrt er in „Unstern“ wieder zurück zu einer aktuellen Bestandsaufnahme mit teils historischen Rückblicken. In „Text Neck“ (2016) beschäftigte er sich mit der Beeinflussung des Digitalen auf den Menschen. In den drei Stücken ist sein Team stets das Gleiche geblieben: Renate Ostruschnjak für die Kostüme, Daniela Bendini für die choreografische Unterstützung und Tanja Rühl für das stets tolle Lichtkonzept. In der neuesten Kreation setzt sie beispielweise mithilfe von LED-Scheinwerfern Akzente, Punkte, Kapitelenden. Das passt gut zur episodenhaften Form der gesamten Tanzperformance.
Doch gerade bei diesem Thema hätte es absolut nicht geschadet einiges wegzulassen. Neben Fotos, Videos von Moritz Stumm, Texttafeln und der Musik sind viele verschiedene Bewegungen, auch popkulturelle Tanzstile, erkennbar. Wie beispielsweise die besonderen Moves medienwirksamer Stars wie Miley Cyrus (rausgestreckte Zunge, „I came in like a wrecking ball“) und Beyoncé (wackelnder Arsch). Deren Musikvideos und Fanbotschaften freilich über Massenmedien wie Instagram und YouTube verbreitet werden und dort ihre begeisterte Anhängerschaft finden. Ein Link zur Massenbeeinflussung und Manipulation der Gesellschaft durch bekannte Gesichter in der Werbung.
„Unstern“ zeigt gängige, menschliche und sozialpsychologisch erklärbare Methoden, Mechanismen und Phänomene, die in Pop, Propaganda und Politik zu finden sind. Doch wie schützt man sich davor? Wie geht man damit um? Gerade auch vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen wie denen im Osten der deutschen Bundesrepublik? Durch Information? Durch Reflektion? Durch Diskussion? Bestimmt. Aber auch durch Tanzperformances, die in die Tiefe gehen, anklagen, konfrontieren und anstoßen. „Unstern“ von Moritz Ostruschnjak ist eine davon. Am Ende gibt es dafür begeisterten Applaus. Es war ein wundervoller Abend, ein fröhliches Hurra!
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