"Cardboard Sessions" von Moritz Ostruschnjak in der Pinakothek der Moderne. Vorne: Leon „Carlinho“ Rau / Hinten: Serhat "Saïd" Perhat, Gustaf Mac Kobus, iam "Myndwayv“ Maria Wustrack, Chris Fargeo

Back to the Roots

Weltpremiere von Moritz Ostruschnjaks „Cardboard Sessions“ in der Pinakothek der Moderne

Für ein Wochenende lang wird das Kunstareal in München zum Dritten Ort. Auf dem Gelände zwischen den Museen tummeln sich tausende Menschen bei heißem Sommerwetter. Zwölf Tänzer*innen bringen eine Choreografie unterschiedlicher Tanzstile aus dem Urban Dance in die Pinakothek der Moderne.

München, 01/07/2025

von Dorothea Pokorny

In der wartenden Menge stehen Senior*innen, Student*innen und viele Familien mit Kindern. Von drei Eingängen strömen die Menschen hinein in die kühle Kunststätte, die an diesem Abend bei freiem Eintritt zu einem Ort der Bewegung und des Austausches wird.

Das Publikum sitzt gespannt in der Rotunde in der Pinakothek der Moderne. Wartet auf die Tänzer*innen. Doch die sind während der kurzen Ansprache schon unbemerkt an den Zuschauer*innen vorbei oberhalb einer der Treppen gelaufen. Auf der riesigen weißen Wand dahinter, sind wie immer die Aufschriften „Sammlung Moderne Kunst“ und „Modern and Contemporary Art“ zu sehen. Heute werden damit aber keine Kunstobjekte angekündigt, sondern zeitgenössischer Tanz, der die ganze Pinakothek einnimmt. 

Vor dieser Wand bewegt sich Virginia ‚Aura‘ Lewerissa mit langsamen immer schneller werdenden Bewegungen, dann kommt Nicole Adriana hinzu. Die beiden wirken wie ein Gemälde, das plötzlich anfängt sich zu bewegen. Mit Stampfen machen sie auf sich aufmerksam. Jetzt merken auch die letzten Zuschauer*innen wo das Happening beginnt. Nach und nach tauchen hier auch die Köpfe der anderen Tänzer*innen auf. 

Die Gruppe, die Moritz Ostruschnjak mit Dhélé Agbatou und Serhat ‚Said‘ Perhat zusammengestellt hat, ist eine bunte Mischung aus verschiedenen Generationen und diversen Stilen aus dem urbanen Tanz.  Moritz Ostruschnjak ist in München als zeitgenössischer Choreograf bekannt, die Anfänge seiner Karriere liegen allerdings beim Breakdance, auf den er hier künstlerisch zurückgreift. 

Der Cypher

Nächster Schauplatz ist die große Rotunde, das kreisrunde Zentrum des Museums, wobei das Publikum sich zunächst so um die Künstler*innen scharrt, so dass die Hälfte der Leute zunächst nicht in den Genuss kommt zu sehen, wie die Tänzer*innen ihre Tricks und Bodenkombinationen machen. Chris Fargeot wird hier einmal zur lebendigen Statue, wenn sie sich inmitten der großen Eingangshalle auf den Kopf stellt. Der kreisrunde Raum funktioniert architektonisch als eine Hommage an den Cypher, den typischen Tanzkreis bei Urban Dances.  

Auf der gegenüberliegenden Treppe breakt Leon ‚Carlinho‘ Rauh die Stufen nach oben als wäre es das Leichteste auf der Welt. Im Gegensatz dazu lässt sich Flash Haddi mehr Zeit und geht ganz auf in dem Musik-Mix von Jonas Friedlich.

Auf der oberen Ebene des Museums tanzen Kalliopi ‚Kalli‘ Tarasidou und Liam Wustrack ‚MYNDWAYV‘ im Duo neben einer Skulptur aus kunstvoll zusammengeschweißtem Metall und es wirkt als wäre diese Skulptur durch sie zum Leben erweckt worden. 

Wieder in der Rotunde, haben sich die übrigen Tänzer*innen zusammengefunden. Neben dem B-Girl Kastet, die eine unglaubliche Freude ausstrahlt, wenn sie mit ihren Moves die Energie auf die Anderen überträgt, ist unter anderem auch Nikola ‚Nidjo‘ Zica. Jedes Mal, wenn er seinen querschnittsgelähmten Körper aus dem Rollstuhl hebt, auf Händen trägt und seine Beine durch die Luft wirbelt, geht ein Raunen durch das Publikum. Er macht das mit einer unglaublichen Kontrolliertheit, sodass wir die Kraft, die dahintersteckt, nur erahnen können.

Im Duo von Said und Gustaf Mac Kobus zeigt sich die Mischung aus kreativer Freiheit und technischer Präzision.

Wheelchair-Dance und Gemeinschaft

Jetzt kommt auch der Rollstuhl von Nidijo zum Einsatz. Mehrere Tänzer*innen drehen den Stuhl wie ein Kunstobjekt um die eigene Achse. Dann bauen sie ihn auseinander und lassen die Reifen wie Kreisel drehen. Die Performer*innen interpretieren dieses Kreiseln auf ihre eigene Weise im House, Crumping und HipHop und Breaking. Bei dieser letzten Sequenz spürt man nochmal die Gemeinschaft, die von den Tänzer*innen ausgeht. Diese ist so ansteckend, dass nun die ersten Zuschauer*innen mittanzen. Es dauert nicht lange und der ganze Raum tanzt wie im Rausch. 

Als jetzt schon dritter Kooperationsort zwischen International Dance Festival in München und Museumsräumen wurde hier eine Programmschiene entwickelt, in dessen Zentrum spontane Interaktion und kreative Freiheit steht. Mit dieser Weltpremiere ist Moritz Ostruschnjak für das Festival ein berauschender Abschluss gelungen.

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