Verdient
Goyo Montero erhält Bayerischen Verdienstorden
Geschafft! Die ersten zehn Jahre, in denen Goyo Montero als Direktor und Chefchoreograf das Ballett am Staatstheater Nürnberg ästhetisch neu aufgestellt und zum Blühen gebracht hat, sind voll. Mit Jens-Daniel Herzog zieht derzeit ein neuer Intendant und Operndirektor ins Haus und mit ihm neue Künstler*innen und Mitarbeiter*innen. Deren Namen und Funktionen findet man in neuer Typografie hierarchiefrei alphabetisch geordnet und um leider oft alberne Personalityfilmchen im Instagramstil ergänzt bereits jetzt auf der neuen Staatstheaterwebseite. Auch Monteros Ballettkompanie, die Bleibende und mit dem Deutschen Tanzpreis Gekrönte, musste sich dieses auf die Nerven gehende, kommunikative Makeover in Richtung veralltäglichender, privat-belangloser Darstellung seines Ensembles gefallen lassen.
Gut tut dieses dem Tanz als gesellschaftlich relevanter Kunstform im Allgemeinen und Monteros spezieller Aussagekraft nicht. Denn (sein) Tanz tickt anders. Die existenzielle Bindung des Tanzes an den Leib und die Emotionen bringt mit sich, dass während des choreografischen und tänzerischen Aktes der private Körper des Tänzers und der Tänzerin zum Verschwinden gebracht werden. Für diesen nimmt dann ein anderer, zeichenhafter, beredt vom Menschsein erzählender Körper bewegend Gestalt an, als temporäre Erscheinung eines Einzelnen oder eines Kollektivs, die wir als Zuschauende genießen in Zwiesprache mit unseren Gedanken und Gefühlen. Dies gilt umso mehr für das zeitgenössische, dynamische Ballett, das oft feiner als der zeitgenössische Tanz unsichtbare Gegen- und Anderswelten der menschlichen Seele auch in stürmischen Zeiten in einem komplexen Akt spiegelnder Wahrnehmung aufzuschließen vermag.
Wie wunderbar dies Goyo Montero in den vergangenen zehn Jahren mit seinen Tänzer*innen gelungen ist, kann man noch bis kommenden Montag erleben. Die momentan laufenden „Dekade“-Galas zählen zu den außergewöhnlichsten Tanzabenden derzeit in Bayern. Ausdruck der Zäsur, die der Intendantenwechsel in Nürnberg bedeutet, bilden die Abende eine Tanz-Retrospektive auf Monteros Kunst ganz eigener Art und zugleich den Startschuss in seine neue Schaffensära im Tanz am Haus. Denn an die Stelle einer aus Kurzstücken zusammenmontierten Rückschau, die oft in einer Nummernshow enden kann, hat Montero aus seinen insgesamt 20 zwischen 2008 und 2018 in Nürnberg kreierten Produktionen 13 Soli, Duette, Gruppenszenen und eine Uraufführung dramaturgisch kunstvoll zu einem neuen Abendfüller verwoben.
Auf diese Weise trat zwar ein Moment freudigen Wiedersehens, etwa mit Monteros wegweisenden Neudeutungen von „Romeo und Julia“, „Dornröschen“, „Desde Otello“ oder „Don Quijote“ zurück; jedoch entstand stattdessen ein facettenreiches, eher abstraktes, getanztes Gemälde verschiedener ineinander übergehender Stimmungen und Ereignisse. Dies setzte sich vorwiegend auf der Basis seiner der Linie abstrakter, sich emotional und atmosphärisch mitteilender Kurzstücke wie „Four Quartetts“, „Imponderable“, „Treibhaus“ oder „Black Bile“ zusammen. Sie erzählen derart komplex vom Empfinden und fragilen Lebenwollen des Menschen in der immer rauer werdenden Welt, dass man kaum nachkommt die unzähligen Querverweise und Verbindungen gedanklich miteinander zu verknüpfen. Wohlwissend, dass hier eine neue Erzählung entsteht.
Zum Genuss wird ganz nebenbei Monteros mediterraner, auch pathetische Gefühle nicht scheuender Zugriff auf den Tanz. Ihn choreografierte er lustvoll mal auf unter die Haut gehende Songs von John Dowland oder auf ein „Ave Maria“. Spannend ist, wie oft Montero seine Tanzkreationen in Bezug zu Sprache statt zu Musik gesetzt hat. Im Verlauf des Abends, in dem die Grenzen zwischen den Stücken zunehmend verschwimmen, tritt die Verdüsterung zutage, der sein Werk seit wenigen Jahren unterliegt. Greifbar wird beispielsweise die Heimatlosigkeit des Individuums. Es scheint, als ob der einzelne Liebende, wie es sie oder ihn etwa zu Beginn von Monteros Arbeit in Nürnberg in „Benditos Malditos“, „Romeo und Julia“ oder in „Don Juan“ noch gab, verschwunden ist. An seine Stelle tritt gegen Ende des fulminanten Galaabends der ortlos Reisende mit dem Koffer. Er wird zur neuen Repräsentationsfigur in Monteros Ästhetik.
Dazwischen glitzern, wie hochkarätige Juwelen, die Gastauftritte von Monteros Muse Sayako Kado und von Weltklasse-Ballerina Alicia Amatriain vom Stuttgarter Ballett an der Seite von Oscar Alsonso. Atemberaubend gestalten sich Auftritte des kubanischen Tänzers Yasser Dominguéz. Seine außergewöhnliche Geschmeidigkeit, Sprungstärke und jungenhafte Eleganz hievt Monteros „Imponderable“ auf eine neue Qualitätsstufe. Zum Schluss macht der bejubelte neue Abend einen spannenden Salto rückwärts: Durch einen Trick verwandelt sich das Parkett zur Hinterbühne und man imaginiert draußen ein klatschendes Publikum. Die damit verbundene Botschaft „Wir sind echt und das Theater ist draußen“ verankert sich tief im Innern. „Ohne die Hingabe und den nie abbrechenden Einsatz jeder und jedes Einzelnen unserer Compagniemitglieder gäbe es keine Erfolgsgeschichte des Tanzes in Nürnberg“, so Montero in seiner kurzen und herzlichen Eröffnungsrede.
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