„Empathy“ von Jasmine Ellis

Freestyle Happenings

Uraufführung von Jasmine Ellis „Empathy“ im Schwere Reiter in München

Individuell agierende Darsteller, die sich doch immer wieder mit Bewegungsmustern gegenseitig anstecken, nähern sich dem schwindenden Fingerspitzengefühl im menschlichen Miteinander auf erstaunliche Weise.

München, 15/01/2018

Jasmine Ellis ist faszinierend. Ihre zierliche Erscheinung strahlt Energie aus – selbst in einfachen Requisiten wie der weißen geknautschten, mauerhoch von der Eingangstür rund um die Gesamtfläche gespannten Gewächshausplane oder vielen Seilen. Letztere hat Nicola Missel (Bühnenbild) so in der hell abgeschlossenen Szenerie des Schwere Reiter drapiert, dass sie von Knotenpunkten am Boden und einem Stuhl inmitten der Zuschauerreihen über die Decke hinweg eine visuell ansprechende Verbindung zwischen den Bereichen ‚Performance’ und ‚Publikum’ schaffen. Das architektonische Neuronengeflecht dominiert als statischer Eyecatcher den mit warmen Lichteffekten (Ray Demski) positiv aufgeladenen Raum. Ein Wohlfühlambiente, das sich vier Tänzer und drei Live-Musiker auf recht eigenwillig coole Art und Weise eine Stunde lang teilen.

Rechter Hand drängen sich Soundboards, Instrumente und Mikrofone. Wie eine durchlässige Theke für Small Talk, zu der es vor allem die umtriebige und redselige belgische Tänzerin Evelyne Rossie immer wieder hinzieht. Für tiefe Züge aus E-Zigaretten, die im Verlauf von Ellis neuer Tanz-Theater-Performance „Empathy“ wiederholt von den Protagonisten für rauchige Bildimpressionen eingesetzt werden. Oder aber um sich über Blickkontakte bzw. Berührungen regelrecht aufzupumpen mit heftig laut durch die Luft surrenden Beats.

Folge dieser Auftankmomente sind explosive, klangimpulsgesteuerte Freestyle-Happenings. Jeder Darsteller agiert dabei sehr individuell. Luca Cacitti (Italien) und Lukas Malkowski (Kanada) mehr introvertiert und eher verhalten. Kleinteilig roboterhaft, mit modellverdächtigen Trippelschritten die Israelin Yael Cibulski. Ihr kollektives Springen und Fallen, Drehen und Kriechen entwickelt mit der Zeit physisch mitreißende Dynamik. Insbesondere wenn sich das Quartett dieser unterschiedlichen Tanztypen gegenseitig mit Bewegungsmustern ansteckt. Warum allerdings zur Halbzeit plötzlich alle – das bewegungslustige Jazzmusiker-Trio Lukas Bamesreiter, Ralph Heidel und Maximilian Hirning inbegriffen – das große Kichern ergreift, erschließt sich aus dem Stückthema Empathie nicht.

Egal, schließlich setzt Ellis die Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen, auf der die Produktion bewerbenden Postkarte provokativ mit „einen Dreck auf etwas geben“ („Giving a shit“) gleich. Alles gar nicht so ernst also, obwohl schwindendes Fingerspitzengefühl im menschlichen Miteinander die gebürtige Kanadierin mit Lebensmittelpunkt in München zu der Uraufführung inspiriert hat.

Eine ihrer choreografischen Qualitäten dabei ist es, fabelhafte Situationen aus dem Nichts herbeizuzaubern. Und das zum Teil rein tänzerisch, später unter Verquickung von Songfetzen und Schrittsequenzen, die sich das Performerkollektiv flink wie Bälle zuwirft. Experimentiert wird auch mit Sprache, begleitet vom beruhigenden Brummen eines Kontrabasses. Aber auch Saxofon und Stimme kommen miteinander in Dialog. Auslöser für diverse Kommentare über Liebe und Partnerschaft ist ein Beziehungsduett.

Zum Schluss wird der Fokus ein weiteres Mal verrückt. Von Evelyne Rossie hört man nur mehr Flüstern, während die Übrigen gemütlich mit Blick auf die Zuschauer am Boden chillen. Es geht um Verführung, wie sie nur im ephemeren Augenblick einer Theateraufführung erlebbar ist. Es geht darum zu hören, wie ein Mensch voller Leidenschaft ein Klebeband entrollt, Wasser schluckt, ein Bonbon verspeist und den Klang eines Reißverschlusses anpreist. Fazit des originellen Abends: Das höchste der Gefühle ist Sympathie!

 

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