Widerspruch als Bewegungskatalog
„Bodies in Rebellion“ von Zufit Simon im schwere reiter München
Ein offener Mund und zusammengekniffene Augen müssen nicht gleich Heulerei bedeuten. In schallendes Gelächter könnte jemand auch verfallen sein. Körpersprache ist zeichenbasiert - für den Semantiker Ferdinand de Saussure ist Sprache „ein System von Zeichen, in dem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist“. Er bezieht sich zwar auf Linguistik, doch für die Sprache des Körpers ist das nicht anders, das zeigte auch Erika Fischer-Lichte in ihrer Semiotik des Theaters. Gesten und Emotionen ergeben nur zusammen ihre durchdringende Wirkung. Ein Lachen wird stärker, wenn man sich den Mund oder Bauch vorhält, der gesamte Körper in Wallung gerät. Doch was, wenn diese Verbindung gebrochen, die Geste, also das Zeichen, repetitiv vorgetragen wird? Wenn sich ausschließlich der Bewegung gewidmet wird? So als ob man zwei Minuten lang „Tisch“ sagen würde. Die Performerin und Choreografin Zufit Simon hat dies in ihrer Trilogie „un-emotional“ hinterfragt, die seit 2013 rund um das Thema emotionale Gesten als reine Bewegungen entstanden ist und als Zusammenschluss der drei Arbeiten vergangenes Wochenende im Schwere Reiter gezeigt wurde.
Es beginnt mit „NEVER THE LESS“. Zufit Simon und Julieta Figueroa sitzen nebeneinander auf dem Boden und lächeln. Erst der linke, dann der rechte Mundwinkel werden hochgezogen, der Mund wird geöffnet und die Geste schrittweise konstruiert. Wenn sie die Augen verziehen, sieht es aus wie ein Weinen, durch passende Laute aber wird die Emotion nur manchmal eindeutig markiert. Die Performerinnen tragen einige Bewegungen repetitiv vor, die für beides, Weinen oder Lachen, Zeichen sein können. Diese heftigen Emotionen gehen in den gesamten Körper über. Immer stärker zucken die beiden mit den Schultern, bis der gesamte Oberkörper zu Beben beginnt. Im Duo stattfindend kann dies auf Partnerschaft und Zweierbeziehungen jeglicher Form übertragen werden, gerade wenn Emotionen in diesen Paar-Situationen ins Exteme überkippen.
Das steht in Konstrast zum zweiten Teil „piece of something“. Zufit Simon sitzt mit den Tänzerinnen Diethild Meier und Eva Svaneblom an einem Kindertisch auf kleinen Stühlen. Das Zucken der Schultern aus dem vorherigen Teil wird aufgenommen. Es setzt Musik ein, Elektro versteht sich, sie zucken und schütteln sich über die Bühne. Nun ist die Gruppendynamik Zentrum der Bewegungsstudie. Feindschaften und Freundschaften werden in ihren Bewegungen präsentiert und durch Stinkefinger, Fingerzeig und Daumen-hoch begleitet. Das ist so schön, präzise und rhythmisch, dass man, selbst auf dem Stuhl sitzend, in Bewegung gerät und am liebsten zurückwinken will.
Der letzte Teil „all about nothing“ rahmt die beiden vorherigen Kapitel. Da steht Zufit Simon alleine vor einem Mikrofon und gestikuliert sich durch die Auftrittssituation. Scham, Aufregung, Angst, jegliche Emotionen können durch die Gesten ausgemacht werden. Und immer wieder das Schulterzucken, hier vielleicht als Ausdruck von Unsicherheit.
Wenn man zwei Minuten lang „Tisch“ sagt, findet zuerst ein Bedeutungsverlust statt, bis irgendwann neue Bedeutung entsteht oder die alte wiedergefunden wird. Manchmal benötigt dieser Weg keine zwei Minuten. Bei „un-emotional“ - dem durch Gesten generiertes Auf und Ab der Emotionen - ist das ebenso. Wäre dieses Kondensat dreier einzelner Stücke knackiger gewesen, wären die langen Nebensätze etwas gekürzt worden, dann wäre eine noch bombastischere Deutlichkeit entstanden.
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