Widerspruch als Bewegungskatalog
„Bodies in Rebellion“ von Zufit Simon im schwere reiter München
München-Premiere von Zufit Simons „Radical Cheerleading“ im schwere reiter
Na, wenn das mal kein zweckdienliches Stück ist. Vollgepackt mit Sportlichkeit und einem Drive sich beständig gegenseitigen Anfeuerns nennt es sich „Radical Cheerleading“. Dieser choreografierte Weckruf hat eine Mission. Das szenische Erleben erstreckt sich über eine tänzerische Ausdrucksbandbreite von harmlos über verfremdet-weiblich-kess bis hin zu teilweise drastisch-nackt. In strammer Körperhaltung, den Blick entschlossen geradeaus wird hier mit scharfkantigen Moves operiert. Fünf Köpfe zählt die Truppe, braucht sie akustisch mehr Masse, helfen Verdopplungs-, Echo- und Halleffekte vom Tonpult aus.
Man kann sich bequem zurücklehnen und zusehen, wie sich andere für das Recht auf Demonstration oder die Notwendigkeit freier Meinungsäußerung abrackern. Letzteres geschieht ganz pauschal und eher generell – sowohl physisch in Mustern aus wohlplatzierten Gesten als auch stimmlich mittels griffig-schlagkräftiger amerikanischer Parolen, die maschinengewehrartig in Wiederholungsschleifen Richtung Publikum ausgestoßen werden. Viel Kontext und Etwas-neu-in-Beziehung-Setzen steckt in dieser einstündigen Performance, aber auch eine Menge Koordinationsleistung und Gespür für das richtige Timing. Sogar das sporadisch kollektive Lachen in den Gesichtern wird auf Kommando eingeschaltet. Plötzlich – aber nur kurz – blitzt so etwas wie ein Spaß ausstrahlender und Sympathie heischender Team-Code auf.
Kein Kick, kein Schwung, der nicht sitzt. In „Radical Cheerleading“ kommt es weniger auf die bloße Formschönheit von einheitlicher Exaktheit an, vielmehr wollen die Protagonist*innen das Publikum über die Intensität ihrer Bewegungen und unmissverständliche Details wie geballte Fäuste erreichen. Lediglich in einem solistischen Intermezzo bricht sich innere Aufgewühltheit Bahn. Für ihr Experiment hat Choreografin Zufit Simon drei Mitstreiterinnen (Dorota Michalak, Erika Leo und Wortführerin Sunayana Shetty) und einen Mitstreiter (Cary Shiu – das am zierlichsten gebaute Scharnier der Crew) um sich versammelt. Gemeinsam legen sie los, indem sie zu Klatschen beginnen, und den Anschein machen, die Möglichkeiten des performativen Stils ausloten sowie einem Aktivismus, der das Cheerleading radikalisiert, auf den Zahn fühlen zu wollen.
Dicke schwarze Streifen schmücken die Wangen der Akteure. Im Hintergrund leuchten Neonstäbe, senkrecht wie ein Gefängnisgitter aufgestellt. Die Dunkelheit um diese herum wird für Abgänge und Wiederauftritte genutzt: kurze Auszeiten, in denen die vier Damen mal ihre Oberteile, dann komplett alle Bekleidung von der Hüfte abwärts ablegen. Über das im Abseits bleiben von Cary Shiu kann man spekulieren. Wenn eine dumpf dröhnende Klangwolke (Sound: Fredrik Olofsson) die auf sich eingeschworene Clique still und motorisch langsamer werden lässt, ist er aber dabei.
Mit unterschiedlichen Tiermasken, die sie sich übergezogen haben, scheinen alle aus der Realität in eine Art paralleles Geisterbahnuniversum gefallen zu sein. Der Slogan „we know, there is a need“ hat sich zu dem Zeitpunkt längst beim Publikum eingefressen – hineinbetoniert ins eigene Reflektieren durch Passagen, die an Demonstrationen gegen verschärfte Abtreibungsparagrafen oder für mehr Akzeptanz von Diversität erinnern. „Cheer!“ (die Aufforderung zum Jubeln) – „go!“ – „come on!“ – „let’s go!“, ruft eine Stimme. Die anderen stimmen ein. Vergleichbar einem Chor in der antiken Tragödie wird unnachgiebig skandiert und gefordert „Let me hear your voice“.
Die genau aufgeteilte Farbgebung der lässigen Kostüme – Turnschuhe, Sportsocken, schwarze Shorts, darüber zweimal paarweise bunte und weiße Shirts, dazwischen eines in pink – betont zusätzlich die gefällige Symmetrie der Formationen, die den Tanzabend strukturieren. Irgendwann kommen auch jene bauschigen Pompons zum Einsatz, die man aus den amerikanische High-School-Filmen in Händen tougher Girls und ihrer zickig-fiesen Gegenspielerinnen kennt. Simon aber klemmt sich die Puschel in einem Trio zum Schluss unter die blanken Achseln. Da dürfen sie dann eigenwillig rascheln und bekommen in ihrer Funktion als Tanzwedel nur vom jetzt offen getragenen Haar Konkurrenz. Offenbar hat die Choreografin ein Faible dafür, Bekanntes in etwas unbestimmt Neues zu transformieren: Bilder, die haften bleiben, und ein Plädoyer für Protestkultur, dass die Beschäftigung damit gewiss lohnt.
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