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Das Staatstheater Nürnberg bekommt ab der Spielzeit 2025/26 einen neuen Ballettdirektor
Jeroen Verbruggen und Jirí Bubenicek kreieren fürs Staatstheater Nürnberg
„Made for us II“ nennt Goyo Montero jenes Format, mit welchem der Ballettchef am Staatstheater Nürnberg gerne Choreografen die Möglichkeit gibt, für sein Ensemble neue Stücke zu erarbeiten. Eingeladen wurden nun mit Jeroen Verbruggen und Jirí Bubenicek Künstler der jungen und mittleren Generation.
Bei Jereon Verbruggens „Where have all the flowers gone“ unkt man innerlich zu Beginn: Das wird nicht funktionieren. Da ist zu viel, zu viel zu konkret und eindeutig. Emotional bäumt man sich rasch gegen das neue Stück auf. Aufgewühlt folgt man dennoch seinen inhaltsreichen Bildern und der nervösen, umtriebigen und sich ausdrücken wollenden Energie, mit der der langjährige Solist des Balletts Monte Carlo quasi hinter seinem Stück fuhrwerkt. Als ob er zu wenig Zeit hatte, um das, was er zu sagen hat, auszuformulieren. Am Ende hat man einen Aufschrei eines Mannes erlebt, der der Welt entgegenschleudert, wie sehr die heutige Jugend ihre Sehnsucht nach Unbeschwertheit aufgeben musste. Stark.
Verbruggen hat viele Jahre für Marco Goecke getanzt, dessen Lebensgefühle durch seinen Körper durchfließen, durchzittern, durchrascheln lassen. Es ist eine ähnliche Energie davon in der Luft, die sich bei ihm im Willen zur unerschrockenen Aussage bündelt. Bewegungstechnisch und stilistisch verlässt Verbruggen hingegen das Feld der neoklassischen Bewegung nicht, auch wenn er nonchalant hin und her springt zwischen Spitzentanz, Tanztheater und urbanem Tanz. Er ist noch kein innovativer Schrittmacher hier, was er aber auch nicht muss.
Wie sind seine Bilder? Von der Decke hängen kopfüber Blumentöpfe. Später hämmert sich das grelle Licht von Neonröhren auf die Köpfe des Helm tragenden, hart das Becken bewegenden Ensembles. Mental kaum zu ertragen: Ein Kinderwagen mit Erde und Blumen rollt über die Bühne, geschoben vom Tod auf Spitzenschuhen mit Glatze und Schminke und einem weißen Luftballon in der Hand. Das Ensemble trägt Shorts und T-Shirts. Auch hier scheinen die Farben zu grell. Man assoziiert irgendwann eine verlogene, in sich gefangene, hektische Spaßgesellschaft. Getanzt wird zu Gustav Mahlers viersätziger, großflächiger Neunter Sinfonie, die vier Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden ist. Ein Paar in langen schwarzen offenen Mänteln lässt immerfort die Arme wie Fallbeile aufeinander heruntersausen. Mehr als eine solche Umarmung ist nicht möglich. Die Eltern eines verstorbenen Kindes im Moment des Abschieds, der nicht aufzuhören vermag. Man möchte nicht so brutal den Tod sehen, ohne dass man im Theater in die Poesie abdriften darf. Goyo Monteros jüngste grandiose Premiere, eine radikale Neuinterpretation von „Don Quijote“, hat man sowieso noch in den Knochen.
Verbruggen aber hält einen in seinem Stück fest. Zum Schluss hört man den titelgebenden Song „Where have all the flowers gone“. Sanft wedeln die Tänzer hierzu mit den Hüften, ein falsches Grinsen im Gesicht. Nacheinander gehen sie ab, nachdem sie ihre Helme abgelegt haben. Verbruggens Kommentar zum Leben einer ganzen Generation, die im Angesicht permanenter Bedrohung durch Terror seine Jugend früh an die Angst abgeben musste, ist mutig, schlüssig und wichtig.
Da mutet Jirí Bubeniceks „Chapeau“, das den neuen Ballettabend eröffnete, im Rückblick harmlos an – was es allerdings nicht ist. Seine bereits zweite Neukreation für das Nürnberger Ensemble besticht durch viel Ironie und Witz, hintersinnigen Humor und Tiefe. Spannendes Element ist eine Treppe auf der Bühne, die zur Kulisse wird für Lebensstationen. Eindrücklich das Anfangsbild: Ein Mann balanciert Hüte auf dem Kopf und versucht dabei die Treppe zu besteigen. Auch hier ist das Thema der Überforderung bereits umrissen, permanent in verschiedenen Rollen das Leben meistern zu müssen.
Mit Verve und den Mitteln des zeitgenössischen modernen Balletts tourt Bubenicek, der unter anderem als kongenialer Interpret der Werke John Neumeiers zu den wichtigsten Solisten in Deutschland zählte, so mit dem Zuschauer durch Lebensmomente: Strassenhektik, in grelle Lichtwechsel getaucht; Begegnungen; von anderen oder den eigenen Dämonen am Aufstieg gehindert werden; die Herausforderung, ein Paar zu werden, wenn man sich nicht zwischen zweien entscheiden kann; die Sehnsucht, aus dem Schlamassel herauszukommen, Künstler zu sein, Mensch zu bleiben. Leer werden dürfen.
Raffiniert und aussagekräftig hierzu das von Asymmetrien geprägte Kostümbild: Hosenbeine oder Ärmel fehlen oder sind verdreht. Zum Schluss blickt der Held wie aus einer Höhle ins neblige Licht von oben und klopft stattdessen an. Hallo, jemand da, der hilft? – und Gott lachte, schießt es einem durch den Kopf. Und dass Pina Bausch Recht hatte. Tanzen hilft gegen die Angst. Bubenikec und Verbruggen beweisen es aktuell in Nürnberg.
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