So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
Pick bloggt über seinen langjährigen Intendanten Hellmuth Matiasek und reist in Gedanken von Rosenheim bis nach Japan
Als ich bei meinem langjährigen Intendanten Hellmuth Matiasek zu seinem Achtzigsten eingeladen war, sagte er leise zu mir: „Wir müssen uns jetzt auch manchmal ohne runde Geburtstage sehen, denn so viele gibt‘s nicht mehr.“ Das habe ich eingesehen, aber gleichzeitig hat es mich doch erschreckt, denn er hatte sich ja kaum verändert, seit er endgültig Privatier geworden war. Er hatte schon früher einen Versuch gemacht, sich zurückzuziehen ins große Familienhaus, das wunderbar umgewandelte bayerische Bauernhaus näher nach Rosenheim, als nach München, wo er vor sich hin werkelte, und ein Dach deckte, was er tatsächlich gelernt hatte. Wo hat er mir nicht verraten, aber es war fachmännisch gedeckt über einem kleinen Haus auf dem großen Grundstück. Dorthin konnte sich Conny, seine Frau, die bekannte Schauspielerin Cornelia Froboess, zurückziehen, um ihre Texte zu lernen, was sich nicht von selbst einstellte, wie sie mir gestand. Conny war ja zu der Zeit noch bei den Kammerspielen engagiert. Oder ich durfte dort übernachten, wenn ich mal über Nacht blieb. Es regnete nicht hinein! Aber er hat es wohl keine zwei Jahre ausgehalten, und die Staatsregierung bat ihn, doch die Nachfolge von August Everding zu übernehmen, die Theaterakademie sei ja nun ohne Leitung und er war ja auch einer der legitimen Gründerväter.
Das erste Mal bin ich Matiasek übrigens am Telefon begegnet, als er mich beim Frühstück anrief, und fragte, ob ich interessiert sei, am Staatstheater am Gärtnerplatz sein neuer Ballettdirektor zu werden, was zur Folge hatte, dass mir der Hörer fast aus der Hand fiel und ich tief durchatmen musste. Schnell kam aus dem Hörer: „Also Sie sind nicht interessiert?“ „Doch, natürlich!“ antwortete ich ihm. Dass ich mich durchaus geehrt fühle, und das Staatstheater sowie das Ballett schon bei vielen Gelegenheiten besucht hatte, vor allem in der Zeit, als ich in Ulm und Augsburg Ballettchef war. Ich erklärte ihm, dass ich aber nicht sicher wäre, ob ich der richtige Mann für ihn sei. Ich hatte offenbar einen schlechten Ruf bei Regisseuren, die Operette machten und möglichst viele Auftritte des Balletts haben wollten, was ich von Fritz Fischer wusste. (Fritz Fischer wurde berühmt am Gärtnerplatz durch seine Inszenierung der „Lustigen Witwe“ vor dem Krieg, die Adolf Hitler so oft er konnte besuchte.) Matiasek kurz: „Jetzt bin ich aber hier!!!“ Den Rest der Geschichte kennt jeder, ich fuhr nach München, wir lernten uns kennen, ich sah mehrere Vorstellungen und er kam nach Aachen mit Matthias Schmiegelt, sie sahen die UA von „Othello und Desdemona“ und ich wurde engagiert.
Nun bin ich schon wieder, wie man im Rheinland sagt, vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen und eigentlich wollte ich ja nur über den Jubilar erzählen und darüber könnte man gewiss ganze Bücher schreiben. Ich bin ihm in Wuppertal nie begegnet, wo er ja Pinas Intendant war, nicht mal bei Premierenfeiern. Vielleicht weil er noch keine Reden gehalten hat, oder ich mit dem Nachtzug wieder nach Süden gefahren bin? Diese Reden, und ich hoffe, er nimmt mir das nicht übel, sind das Größte, was ich in meiner Theaterlaufbahn in dieser Weise erlebt habe und unvergesslich wird mir bleiben, als er bei der Feierei in der schönsten aller Kantinen mit Terrasse, seine Ansprachen hielt, auf die alle dicht gedrängt warteten. Nach Werner Schneiders Inszenierung „Ein Walzertraum“ gab es eine Bombenstimmung und Gelächter ohne Ende, als Schneider sich schließlich erhob und eine Antwort geben wollte, die darauf hinauslief, dass er nur noch sagen konnte: „Ich kam hierher, um euch mal zu zeigen, wie man gute Operette macht, und nun hat der Hellmuth mir gezeigt, wie man gutes Kabarett macht. Ich danke Dir für diesen schönen Abend.“
Ja, auch das, er war und ist ein Kabarettist der besten Sorte und hat das auch gelegentlich in seine Inszenierungen einfließen lassen, zum Beispiel in „Die verkaufte Braut“, eine seiner schönsten Arbeiten im Bühnenbild des unvergessenen Jörg Zimmermann. Aber da er nur sehr gelegentlich leichtere Kost servierte (nebenbei ist er auch ein Cuisinier und Feinschmecker), war dazu nicht oft Gelegenheit, aber im täglichen Leben, wie zum Beispiel beim Jour fixe, war sein Humor doch glänzend hintergründig. Auch wenn es eigentlich nichts zu lachen gab, weil es nicht so ging, wie er es sich gedacht hatte, zum Beispiel nach den Kürzungen während der Wirtschaftskrise. Es war ihm zwar gelungen, wieder zusätzliche Stellen in der Technik bei der Staatsregierung durchzudrücken, allerdings mit dem Ergebnis, dass wir dann doch wieder genauso viele Aushilfen brauchten wie vorher ... Ich hätte ein Tonband mitnehmen sollen, auch bei den Auseinandersetzungen mit dem wunderbaren Chef des Betriebsbüros H. J. Martens, der ein herrlich verkorkster Redner sein konnte. Nur, dass leider das Ergebnis manchmal Tränen hätte hervorrufen können. So erinnere ich mich an eine heimliche Sitzung bei Matiasek zu Hause, wo ein kleiner Kreis eingeladen war, beraten und beschlossen wurde am Betriebsbüro vorbei, wie man aus der Bredouille wieder herauskommen konnte.
Nach zehn Jahren, die alles in allem bei diesem Intendanten reich an guten und später auch freundschaftlichen Begegnungen waren, ging ich doch eines Tages zu ihm, und eröffnete ihm, ich brauche eine andere Luft und müsse mich weiterentwickeln. Ich wollte eine Regieassistenz bei Dieter Dorn, Peter Stein oder Rudolf Noelte machen. Von den beiden Letztgenannten kannte ich herrliche Inszenierungen an der Berliner Schaubühne. Und nicht lange nach diesem Gespräch kam es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit mit Noelte, der für die Münchener Opernfestspiele „Der Bürger als Edelmann“ von R. Strauss inszenierte. Neben der wunderbaren Senta Berger, die ja jeder kennt, waren viele Schauspieler dabei, nach denen man sich die Finger lecken kann. Leider wurde der Hauptdarsteller kurz vor der Premiere krank, sodass der köstliche Aufwand nie vor einem Publikum stattfand, aber für mich war es wunderbar. Immerhin hat Matiasek dann das Bühnenbild für seine „Ariadne“-Inszenierung verwendet. Und nach dem einen Jahr, das ich noch dranhängte, um dann mit Matiasek gemeinsam das Staatstheater am Gärtnerplatz zu verlassen, wie er es sich gewünscht hatte, rief die Bundesagentur mich nach Frankfurt. Aber bei allen Dienstreisen haben wir uns im Prinzregententheater getroffen, wo er nicht das Prunkbüro von Everding bezogen hatte, sondern stattdessen einen Raum im Flügel neben dem Gartensaal, wo früher Ballettstudios waren, und seine Art Deko Möbel, die, wenn ich mich recht erinnere, er selbst geschreinert hatte, wieder aufstellte. Dort arbeitete er an der gesunden Entwicklung dieser Theaterausbildungsinstitution, an der ihm ein großer Anteil gebührt, und an der Gründung des Fachs Musical war ich auch ein wenig beteiligt.
Nach der großen Wirtschaftskrise und Hartz IV konnte ich die ZAV glücklicherweise wieder verlassen und Matiasek lud mich ein, in Andechs beim herrlichen Orff-Festspiel mit ihm „Astutuli“ zu machen. Ich muss zugeben, dass, als ich mich mit dem Stück beschäftigte, nicht viel damit anfangen konnte, aber im Laufe der Proben nahm der Spaß zu und Matiasek überließ mir dann eine Tanzszene, in der die halb nackte Bürgerschaft fast platzte vor Einbildung in ihren nicht existenten Kostümen, was dann richtig Spaß machte, vor allem auch hörbar beim Publikum.
Ach, eines muss ich noch zu seiner Zeit am Gärtnerplatztheater sagen. Während seiner Intendanz hat das Theater so wunderbare Tourneen gemacht, wie die nach Japan. Oder das Ballett tourte alleine nach Kiew, Moskau und St. Petersburg, wo wir an der Stange stehen durften, an der schon die Pavlova und Nijinski sich festgehalten hatten. Die Tür dazu hatte der Agent Jochen Hahn geöffnet, undenkbar sind solche Reisen jedoch ohne das Wohlwollen des Intendanten und der Staatsregierung. Und das waren nur die Höhepunkte touristischer Art, aber was sind die gegen den künstlerischen Höhepunkt, als der „Grüne Tisch“ von Kurt Jooss und „The Moor‘s Pavane“ von José Limon in einem Programm über die Bühne am Gärtnerplatz gingen. Es blieb bisher weltweit einmalig!
Ich denke, ich darf ihm im Namen aller seiner Mitarbeiter dieses wunderbaren Theaters einen schönen Jubeltag mit Cornelia (die er als Intendant in Braunschweig, - Zitat: nicht nur engagierte, sondern gleich mit nach Hause nahm), ihren Kindern Kaspar und Agnes und den Enkelkindern wünschen und ebenfalls jubeln! Was für ein Glück, dass Du mich angerufen hast, und ich sogar drangegangen bin ...
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