Bis das Licht erlischt
Ceren Oran und Bassam Abou Diab bei der Tanzwerkstatt Europa
Zeitgenössischer Tanz heißt: Tanz, der seine jeweilige Zeit spiegelt. Demnach befindet sich unsere Gesellschaft offensichtlich gerade in einer ziemlich sprechwütigen Periode. Denn in vier von sieben Programmen der Münchner Tanzwerkstatt Europa (TWE) wird durchgehend geredet: mal synchron zur Körper-Aktion wie bei dem Franzosen Noé Soulier (wir berichteten), mal im lehrhaften Dialog über Tanzstil-Fragen wie bei dem Landsmann Jérôme Bel, der mit seinem hierorts schon bekannten „Pichet Klunchun and myself“, einer Europa-Derniere (ja, das gibt's!), die TWE abschließt.
Der Schweizer Martin Schick hat sogar seinen Tanz auf Null reduziert. Die in Wien basierte Company Toxic Dreams erlaubt ihrer Solo-Performerin Stephanie Cumming immerhin ein paar dekorativ hingegossene Diva-Posen und schnörkelig kreisende Armbewegungen zur Illustration wolkiger Aperҫus über Publikumserwartungen, intellektuelles Elite-Gehabe, Tanzmoden (ach herrje: der olle Tanztheater-Stuhl, die Bewegungsverweigerung mit Nur-Stillstehen) und weitere, schon unzählige Male durch den Tanztheaterwolf gedrehte Banalitäten, die wir nie wissen wollten. Was aber eigentlich stört bei dieser Sechzig-Minuten-Logorrhöe, ist das selbstherrliche, geölte Mundwerk der Kanadierin, ohne Rücksicht, ob ihr Schnellschnatter-Amerikanisch von jedem verstanden wird.
Man darf dieses Dauergequatsche schamfrei ätzend finden. Muß aber zugeben, dass die New Yorker Judson-Church-Bewegung der 60er Jahre, der die diesjährige TWE mit Trisha Brown und Steve Paxton huldigte, eine neue Stilfreiheit inklusive Sprache, Theater und bildender Kunst propagierte. Und wenn es gut ist, zumindest witzig wie bei Martin Schick, ist man doch ganz dabei. Schick, very unschick in ausgewaschenen, ständig über die Hüften rutschenden Jeans, verwandelt mit seinem Netter-Bursch-von-nebenan-Charme ab der ersten Sekunde das Schwere-Reiter-Publikum in eine heiter gestimmte Mitmach-Gemeinschaft. Er fragt, alle antworten: wieviel Eintritt - voller Preis oder reduziert - jeder bezahlt hat. Wieviel Honorar TWE-Veranstalter Walter Heun für diesen Abend erhält. Schick kramt aus seiner umgehängten Plastik-alternativen Öko-Leinentasche seine Low-Budget-Requisiten: aufstellbare Papp-Fotos von Bill Gates, Warren Buffet und einer Familie, die ihr geräumiges Haus für ein halb so großes aufgab. Diese Vorzeigekandidaten gaben die Hälfte ihres Besitzes ab. Aha, deshalb Schicks Stück-Titel „Halfbreadtechnique“. Ab jetzt wird alles geteilt, seine Breze, sein T-Shirt, ein Witz (die zweite Witz-Hälfte erfährt, geflüstert, nur der teilende Zuschauer), vor allem auch seine Bühne. Und wer performance-willig hinabsteigt – die TWE-Workshopler tun das gerne – , bekommt auch die Hälfte, bei weiteren Teilungen ein Viertel, ein Fünftel seines Honorars. Schick, einer, der mit naiv scheinendem Humor die Hunger-Gagen in der Kunst und die Moneybusiness-Milliarden aufs Korn nimmt, hat, indirekt dank „Judson“, erfolgreich vom Tänzer zum Kabarettisten gewechselt.
Bei Zufit Simon tanzt es wieder: mit bunten Scheinwerfern und wallendem Theaternebel raffiniert aufgemacht als Parodie auf die Rockshow-Kultur und gleichzeit klug erfinderisch als Interaktion von Bewegung und Musik. Solo lässt Zufit Simon röhrende Rockmusik – Jimi Hendrix' „Wild Thing“ - in heftigen Wellen durch ihren gerten-flexiblen Körper toben. Zusammen mit Johanne Timm und Cheri Isen konfrontiert sie uns mit scharfkantig stilisierten Revue-Gesten. Die in knallenge, glänzig schwarze Hosen gezurrten Rock-Grazien liefern dann einen Tanz-Akt irgendwo zwischen Nouveau Cirque und Wildwest-Movie: Unter den Füßen Karton-große Lautsprecherboxen, schwingen sie ihre Mikrofone wie Lassos: kreiselnd über dem Kopf, in variierten Pendelbewegungen, in Achterfiguren um den Körper herum und verursachen so ein vielfarbiges sirrendsummendes, Konzert. Wie ihre schlanken Körper den Schwing-Rhythmus ihrer Mikros aufnehmen, wie sie zu dritt rückwärts zu Boden gehen, ihre Fuß-Klötze Geräusch-produzierend aneinander schieben und marionettengleich wieder hochkommen, das ist so einfallsreich ausgeklügelt, so exakt ausgeführt und unter der Hand auch eine Aussage über unsere heutige hoch perfektionierte, kommerzielle Musikindustrie, sodass Simons „I like to move it“ das Prädikat TWE-Highlight verdient.
Noch in der Kunstbau-Reihe “Dance at Judson and on and on“: 19.- 21. 8. Siobhan Davies; 28.-30. 8.: Rosemary Butcher mit einer Uraufführung
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