La Pellegrina - Die Macht der Musik – die Florentiner Intermedii von 1589 in Szene gesetzt
La Pellegrina - Die Macht der Musik – die Florentiner Intermedii von 1589 in Szene gesetzt

Wenn sich das Schmuckkästchen öffnet

„Florenz 1589 – La Pellegrina“ in der Münchner Residenz

Begeisterung für Medicis tänzerisch untermalte Hochzeitsmusik im Rahmen der Residenzwoche

München, 17/10/2022
Mit einem Paukenschlag versetzt uns das hochkarätig besetzte und auf Alte Musik spezialisierte Münchener „Ensemble Phoenix“ unter Joel Frederiksen in die Zeit der zu Ende gehenden Renaissance, des beginnenden Barocks. Was nach diesem Paukenschlag zu Beginn der opulenten Hochzeitsmusik für die Medici an Prunk und Pracht folgt, ist auch aus heutiger Sicht schier unglaublich. Aus Anlass seiner Hochzeit mit der Enkelin des französischen Königs, Christine von Lothringen, engagierte der Bräutigam Ferdinando de Medici für die Aufführung Girolamo Barglagis Komödie „La Pellegrina“ alles, was damals Rang und Namen in Kunst, Musik und Dichtung hatte.

Höhepunkt jener Hochzeitsfeierlichkeiten des Jahres 1589 waren die sechs Intermedien, also Zwischenaktmusiken, die zwischen den Schauspielakten eingefügt sind und ursprünglich seit der Wiederentdeckung der antiken Dramenform gegen Ende des 15. Jahrhunderts keine tiefergehende Bedeutung haben. Sie sollten lediglich für Unterhaltung sorgen, um beispielsweise die Umbaupausen zwischen den einzelnen Akten zu überbrücken. Doch bei Ferdinando di Medicis prunkvoller Hochzeit im ausgehenden 16. Jahrhundert gewannen diese Intermedien zunehmend auch an inhaltlicher Bedeutung, wie bei „La Pellegrina“ deutlich wird. Im Hause Medici dienten die Intermedien in ihrer Form eines Gesamtkunstwerkes aus Dichtung, Musik und Theaterspiel dazu, den Herrscher in seiner Bedeutung, hier als Kunstmäzen auch für die Nachwelt erstrahlen zu lassen.

Gegenstand der Florentiner Intermedien, die nicht im Zusammenhang mit der „Pellegrina“-Handlung stehen, sind Themen wie die Macht der Musik, der Einfluss der Musik auf die Menschheit, die Harmonie des Weltalls: Wo Himmel ist, ist auch Hölle. Dantes „Göttliche Komödie“ lässt grüßen. Glücklicherweise endet das musikalische Spektakel mit dem Geschenk Jupiters an die Menschheit, bei dem sich Rhythmus (Tanz) und Harmonie (Musik) vereinen und so die „Segnungen des Goldenen Zeitalters“ ankündigen mit der Huldigung des Hochzeitspaares, versteht sich.

Ganz und gar nicht selbstverständlich ist das, was allen durchweg ausgezeichnet agierenden Künstler*innen am Freitagabend in dem kunsthistorisch bedeutsamen und passendem Ambiente, dem Antiquarium der Münchner Residenz präsentiert haben. Der Apfel, als Macht-Insignie, als Objekt der Verführung, des Genusses, des Spiels, der Fruchtbarkeit steht im Mittelpunkt des Geschehens. Der Apfel, angeordnet in einem klaren Raster, durch das Colette Gasperini zunächst allein auf Entdeckungsreise geht, steht am Beginn jener Florentiner Intermedii. Umgeben von Äpfeln erhebt sich Colette Gasperini allmählich und bahnt sich auf Spitzenschuhen ihren fast als waghalsig zu bezeichnenden Weg, der eine enorme Körperbeherrschung fordert. Etwas später taucht ihr Partner Ilia Sarkisov in einem T-Shirt auf, das auf der einen Seite die Aufschrift IO und auf der anderen TU trägt – nicht zu verwechseln mit der Zahl 10 und TU (Technische Universität München, z.B.). Mit IO und TU wird klar, dass es sich um eine hier Zweierbeziehung handelt (ital. „ich“ bzw. „du“).

Wie intensiv, wie harmonisch und wie skurril diese Beziehung sein kann, davon kann man sich ein Bild machen, wenn Gegenkräfte als Spannungen wirken oder Rücken an Rücken gegenseitiger Halt gezeigt wird. Aber auch die Entdeckerfreude der Beiden kommt nicht zu kurz: So taucht Ilia Sarkisov seine Tanzpartnerin Colette Gasperini in ein Apfelmeer (Fünftes Intermedium: Arion) oder beide Akteure legen Kreise aus Äpfeln auf den Spiegelboden (Harmoniegedanke). Zum Schmunzeln lädt nicht nur jene Szene ein, in der Gasperini und Sarkisov – vielleicht das Medici-Hochzeitspaar darstellend – nach ihrer Hochzeit je in einen Apfel (der Erkenntnis?) beißen. Spektakulär ist auch die Schlussszene, wenn Colette Gasperini und Ilia Sarkisov in ihr ungewöhnliches Hochzeitskostüm, in einen grünen Mantel aus Moos und Gestrüpp steigen. Unterhaltung pur auf höchstem Niveau in Perfektion und vollkommener Harmonie – ganz im Sinne der Medicis. Mit stehenden Ovationen geht ein außergewöhnlicher Abend zu Ende, vielleicht die Hoffnung auf ein „goldenes Zeitalter“? Auf jeden Fall eine tiefe Révérence an das überragend musizierende und tanzende Ensemble sowie ein Hymnus an die Kunst.

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