Intensives Memento Mori
„Balau“ von Serge Aimé Coulibalys an den Münchner Kammerspielen
Wenn in Zeiten, wo selbst unsere Kanzlerin sich des Polit-Denglischen bedient, jemand kühn und witzig Hamlets „To be or not to be, that’s the question” mit „‘s is oder ‘s is ned, des isses” übersetzt, dann hat der bei uns erst mal einen Stein im Brett. Jan Decorte, hierzulande nicht so bekannt wie seine Künstlerkollegen Jan Lauwers und Jan Fabre, gehörte wie diese in den 80ern zu Belgiens querdenkenden Theatermachern. Mit seinem „Tanzung“ von 2010 wandte er sich der Muse der Bewegung zu. Und soeben wurde sein „Much Dance“ in der Spielhalle der Münchner Kammerspiele uraufgeführt: mit ihm selbst, seiner Lebensgefährtin Sigrid Vinks und den Ensemble-Mitgliedern Benny Claessens und Risto Kübar.
Aber Vorab-Bonus hin oder her: die Szenenfotos im Programmblatt mit den Darstellern in pathetischer Expressionismus-Pose wie von Laban-Jüngern bei einem Monte-Verità-Workshop und Decortes Ankündigung „keine strenge Regie“ ließen Schlimmstes befürchten. Und dann drapiert sich auch gleich noch der nur mit wadenlangem Rock bekleidete Benny Claessens in seiner massigen Fleischigkeit wie eine ruhende Riesen-Putte an der Rampe. Wie auch immer merkwürdig und überraschend: ab da verfolgt man mit großer Aufmerksamkeit, wie sich in dieser von naiv „gotischen“ Holzlatten-Türmen (Bühne: Decorte und Johan Daenen) begrenzten abstrakten „Lebens“-Stätte die Vier begegnen: in stampfenden, rhythmisch finger-schnipsenden Zweier- und Dreier-Tänzchen, in engen Umklammerungen, mit leise linkisch gesprochenen Liebesgedichten. Das Quartett will hier seine privaten Beziehungen ausdrücken – die uns kaum interessieren.
Aber diese zu Grunde liegende Motivation erwirkt eine Gefühlsechtheit, die dem überkünstelten (Regie-)Theater abhanden gekommen ist. Decorte geht zurück zur Essenz, fast im Rousseau'schen Sinn zurück zur Natur: sein makaber-schauriges Ausdruckstanz-Gesangs-Solo zu Arnos „Lonesome Zorro“ (mit dem er an Münchens Alexej Sagerer erinnert), das schonungslos körperliche Sich-Ausstellen von Kübar, heringsdürr, und Claessens, rundum schwabbelig, da wird man plötzlich zu einer anderen Ästhetik überzeugt. Claessens ist übrigens das charismatische und auch tänzerischste Zentrum des Abends. Und die bewusst schlichten choreografischen Anordungen wirken wie eine Katharsis nach all dem übervirtuosen Rumgeturne im zeitgenössischen Tanz. Aber man lasse sich von Decortes „kindlichem“ Stil nicht täuschen. Er ist durchdacht erarbeitet: Das Stück ist äußerst fein durchkomponiert, hat einen entspannten Rhythmus zwischen Stille und Soundkulisse, Licht und Schatten, Ruhe und Aktion.
12., 14., 17., 19. 1., 20 Uhr.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments