Als ich das erste Mal „Ruhrort“ sah, feierte Susanne Linke ihren siebzigsten Geburtstag in Bochum und ich fuhr hin, um ihr meine Glückwünsche zu überbringen, denn wir kennen uns von unserer Ausbildung an der Folkwangschule. Sie kam etwas nach mir aus Berlin nach Essen, denn sie war ursprünglich bei Mary Wigman in der Schule. Ich war jedenfalls so begeistert von dem Stück, dass ich es nun noch einmal sehen wollte, auch weil einige der Tänzer jetzt fest im Ensemble in Trier sind und ich mich interessierte, wie dieses Stück dort ankommen würde.
Also, um es vorweg zu nehmen, es war ein voller Erfolg mit Standing Ovations, auch wenn es ein zaghaftes Buh gab und einige Trierer nicht so recht wussten, was sie davon halten sollten und vorsichtshalber mal gar keine Beifallsbekundung von sich gaben. Aber für das starke Männer-Ensemble und für Susa war es ein großer Erfolg. Und für mich ebenfalls, der ich auch ihre letzte Arbeit „Mistral“ kenne, die sie mit dem sich auflösenden Ensemble der Bonner Oper gegeben hatte, und die ich schon zu ihren altersweisen Choreografien zählen möchte. Wie auch „Mistral“ hat „Ruhrort“ den Reiz, dass es 25 Jahre hinter sich hat, aber das Original trotz oder vielleicht auch gerade wegen der dazu gekommenen Break-Tänzer die ganz besondere Note bekommt, wie Ruhrort und hier meine ich nicht den Titel sondern den geographischen Hinweis über ein Stück, das eine Gegend und seine Bewohner porträtiert.
Zwar hat sich das Ruhrgebiet, das Susa, wie ich, seit über 40 Jahren kennt, doch sehr positiv verändert was Sauberkeit zum Beispiel betrifft, aber die Mentalität dieser Arbeiter-Männer, die sie da zeigt, sind in ihrer Art heute nicht wesentlich anders. Sie malochen, hatten immer verschiedenste Sprachen und Pässe, aber haben gemeinsam gehämmert, geduscht und gehen auch heute zum Fischen oder züchten Tauben und spielen Fußball. In „Ruhrort“ ist nur das Element Break-Dance neu und es passt besonders gut in diese Männergesellschaft, die sich messen will, wer die besten Tricks draufhat und dem eigenen wie auch dem weiblichen Geschlecht imponieren will. Aber darum geht es in diesem Stück überhaupt nicht und während ich das schreibe, frage ich mich, warum eigentlich? Und bemerke, soweit ich Susa kenne, ist es das nicht, was sie interessiert, sondern es sind andere Formen, auch Probleme, die sie auf die Bühne bringen und mit denen sie sich auseinandersetzen will. Sie will nicht das, was alle machen.
Auch in „Mistral“, wo es sich um ein ungleiches Paar handelt, interessiert sie nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern der Zündstoff entsteht aus dem Tanz. Es sind Alltagssituationen, die sie braucht. Und dass ihr dabei besonders jetzt Tanz einfällt und sie sich einer Tanzart bedient, die ihr mit Sicherheit so fremd ist wie mir, ist besonders imponierend. Ich bedaure, dass es zu wenig Choreografen gibt, die diese Tanzform des Break-Dance wirklich beherrschen und über den Showeffekt hinaus Situationen damit erläutern können und so Heutiges erreichen, wie Robbins und Bernstein in „West Side Story“ Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Nachdem ich das Stück zum zweiten Mal sah, erschlossen sich mir natürlich eine Reihe Details, die ich durch die Wucht des großen Ganzen übersehen hatte und es fiel mir erst da auf, dass die Musik oder besser der Soundtrack streckenweise überhaupt aufhört, aber die Gruppe dieser fünf bis acht Männer weiter machen mit ihren manchmal brachialen Bewegungsfolgen, die im Übrigen alles von ihnen verlangen. Und da fiel mir Paul Hess auf, der hörbar aber unaufdringlich diese Horde sich fast aufgebender Kerle zusammenhält, indem er Atemsignale verschiedener Art gibt, sodass die kaum zu bremsenden Kraftbolzen unter Kontrolle blieben und das nicht jeder für sich sondern unisono! Ein Meisterwerk für Supertänzer!
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