Das Phänomen der Unsichtbarkeit
Uraufführung von Anna Konjetzkys „Songs of Absence“ im Rahmen des Münchner Spielart-Festivals
Zwei choreografische Produktion zum Auftakt des Spielart Festivals
Vielseitig zwischen Kunst und Theater, vor allem betont gesellschaftspolitisch gibt sich Münchens SpielArt. Gleich die Auftakt-Uraufführung „La nouvelle pensée noire (Das neue schwarze Denken) – Chefferie“ in der Münchner Schauburg wagte sich an die Idee des „Panafrikanismus“. Alle Afrikaner, unabhängig von Ethnie, Religion und Lebensort, zu einer Einheit verbunden? Ach, zu utopisch schön, um wirklich zu sein.
Im spielerischen „Denkraum Theater“ hat das Berliner Regie-Duo Monika Gintersdorfer/ Knut Klaßen es so lala hingekriegt. Oft wolkig-verblasen, aber zwischendurch immer mal wieder witzig-heiter. Was nehmen wir nun mit aus dieser bunt-schrillen Afrika-Revue über Gebräuche und Völkermorde, über Gott („hat keinen Weißen nötig“) und Rassismus, verheißenen Fortschritt und affigen Mode-Kommerz? Im Grunde nur den Humor, die noch in jedem Muskel vibrierende Redekraft und das Charisma dieser Darsteller aus Ruanda, der Demokratischen Republik Kongo und von der Elfenbeinküste. Alle sind eigenständige Künstler, ob Theaterleiter, Sänger, Tänzer, Choreograf oder Radiomoderator. Alle sind „Chefs“. Und als solche nehmen sie die vorkolonialistische und bis heute parallel zum Staat existierende informell administrative Chefferie („nur oben, kein unten“) herrlich auf die Schippe. Man bekommt, jenseits der impressionistischen Afrika-Nachhilfe, ein Gefühl für die Menschen Afrikas, für ihre spannende Verschiedenheit.
Heroisch, wie Hauke Heumann als neuer Didi Hallervorden im Affentempo das nicht immer verständliche Französisch und Englisch übersetzt. Nervig, dass es in diese sich überlagernden Sprachschichten auch noch - und überdies einfallslos - musik-synthetisch hineinknattert und -klimpert. Aber vielleicht sollte man in dieser offenen, textlich nicht festgeschriebenen Struktur ja auch gar nicht alles verstehen (was natürlich beim Kreieren/Inszenieren Arbeit erspart). Und schließlich: ein Jammer, wenn der afrikanische Tanzrhythmus unbedingt noch in zeitgenössische Bewegungsbelanglosigkeit aufgebrochen wird. Vive l' Afrique authentique!
Hochpolitisch und formal subtil, das war die achtstündige Dauer-Performance „Memory“ des Beijinger Living Dance Studios von Wen Hui (Choreografie) und Wu Wenguang (Filme) jetzt bei Münchens SpielArt im Kammerspiele-Werkraum. Kommen und Gehen der Zuschauer störte nicht. Man war voll konzentriert bei diesem „epischen Panorama“ zur chinesischen Kulturevolution in den 60/70er Jahren.
Alles ist – scheinbar – sehr schlicht. Auf der linken Bühnenseite produziert eine Frau Schuhsohlen an einer alten Nähmaschine – ein knappes Bild für das Millionenheer von Fabrikarbeitern. Im Zentrum steht ein Gaze-Zelt. Auf dessen Vorderfront laufen Sequenzen aus Wu Wenguangs Dokumentarfilm „Meine Zeit bei der Roten Garde“: gellend die anpeitschenden Parteibonzen; schrill die parteipolitisch benutzte und verhunzte Peking-Oper; wie hypnotisiert die dem Polit-Gott Mao hörigen Volksmassen. Im Wechsel dazu spricht Wu Wenguang ganz leise auf Chinesisch Erinnerungen von Zeitzeugen, während die deutsche Übersetzung auf der Gazefront zu lesen ist. Erschütternd diese privaten Aussagen von jungen Menschen, von Kindern, für die es das Glück schlechthin bedeutet, den großen Mao einmal im Leben zu sehen. So einfach lässt sich der ideologische Wahn darstellen. Und so leicht nachvollziehbar ist er durch die deutsche Nazi-Vergangenheit. In den projektionsfreien Momenten sieht man Wen Hui im Zelt-Innern, meist nur leicht nach hinten gebeugt. Wie schwebend gehalten von einer meditativen Musik (feinnervig von Wen Bin), wird sie in ihrem konzentrierten Verharren zum Mahnmal gegen die Volksverführung, gegen jede polit-religiöse Verblendung und Unterwerfung. Einmal tritt Wu Wenguang zu ihr, greift ihren Zopf, legt ihn wie eine Todesschlinge um ihren Hals. Und von hinten langsam ihre Arme wie Flügel führend, scheint er sie in die andere Welt zu geleiten. Solch poetisch eindringliche Bilder verraten Wen Huis Lehrzeit bei Pina Bausch. Und natürlich auch, dass hier zwei Künstler mit ihrer prekären „Erinnerungs“-Thematik seit zwanzig Jahren intensiv-engagiert zusammen arbeiten.
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