„Tanz - Provokation des Körperlichen“

Ein Gespräch mit Serge Honegger und Nina Hümpel moderiert von Christian Gohlke im Cafe Luitpold

In der Reihe „Warum Theater?“ diskutierten der Dramaturg Serge Honegger vom Bayerischen Staatsballett und die Nina Hümpel, hier schwerpunktmäßig in ihrer Eigenschaft als Gründerin und Kuratorin des Tanzfestivals für Zeitgenössischen Tanz DANCE, über das, was im Tanz provoziert.

München, 14/02/2023
Von einem beschaulichen Kaffeekränzchen war die Veranstaltung „Tanz - Provokation des Körperlichen“ weit entfernt und doch war bei diesem intellektuellen Diskurs so etwas wie Nähe zu spüren, was nicht nur etwas mit dem Thema zu tun hatte. Es diskutierten der Dramaturg Serge Honegger vom Bayerischen Staatsballett und die Gründerin und Herausgeberin von tanznetz Nina Hümpel, hier schwerpunktmäßig in ihrer Eigenschaft als Gründerin und Kuratorin des Tanzfestivals für Zeitgenössischen Tanz DANCE, was in München vom 11. bis 21. Mai ihre Pforten öffnet. Moderiert wurde die Veranstaltung im Salon Luitpold von dem Journalisten Christian Gohlke.

Nach einem kurzen Ausblick über die hervorragende Publikumsauslastung beim Tanz nach der langen Corona-Zeit erzählten Nina Hümpel und Serge Honegger, wie sie zum Tanz bzw.Ballett kamen, die eine in klassischer Laufbahn von früher Kindheit an mit Tanztrainings aller Art, der andere als Quereinsteiger, der Robert Wilson als „Bewegungsexperte“ entdeckt wurde.

Im Verlaufe des Abends wurde dann deutlich, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, darunter auch die eigene Biografie, sich auf Rezeption eines Werkes auswirken kann. Ob ein choreografisches Werk als Provokation empfunden wird oder zum Klassiker wird, hängt also vom Zeitgeist ab. Was mit einem Fiasko und Tumulten im Publikum beginnt wie z.B. bei „Le Sacre du Printemps“, kann später zum Klassiker der Moderne mutieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Art des freien Tanzes, die erdschwere Choreografie, die Musik Strawinskys und die Kostüme ungewohnt – also extrem provozierend - für das Publikum. Genau wie zuvor die Protagonistin dieser Tanzweise Isadora Duncan als Gegnerin des klassischen Balletts mit ihrem modernen Ausdruckstanz, in ihren freizügigen griechisch-römischen Gewändern provozierte. Genau da setzt die Diskussion um die Provokation des Körperlichen in Geschichte und Gegenwart an.

München war und ist ein Tanzzentrum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkten hier eigenständige wie provozierende Tanzpersönlichkeiten. Daher findet man in der Ankündigung des diesjährigen Programms von DANCE ein spezielles tanzgeschichtliches Projekt „Munich Dance Histories“ www.munich-dance-histories.de. Angeboten werden „DANCE History Touren“, also Spaziergänge zu bestimmten Stätten oder Orten Münchens über die Geschichte des „Freien Tanzes in München ab 1900“ - sozusagen ad fontes. Soviel sei von dem vielversprechenden Projekt schon verraten: Es geht darum, die Geschichte des Freien Tanzes lebendig und damit auch einen Teil Münchner Stadtgeschichte bzw. Skandalgeschichte öffentlich zu machen. Geschichte und Gegenwart bedingen sich gegenseitig, weshalb auch der Blick auf aktuelle Provokationen fällt, wie man bereits den Eckpunkten des Programms von DANCE entnehmen kann. Auch hier stellt sich die Frage nach dem provozierenden Moment, sprich: Womit werden welche Wahrnehmungsmuster und damit Tabus auch im zeitgenössischen Tanz gebrochen, der schon traditionsgemäß eine offene Formensprache artikuliert und die (individuelle) Ausdruckskraft betont.

Eng damit verknüpft, wird diskutiert, wer zum Tanz auf die Bühne darf. Das Spektrum der Tanzenden reicht von nackt, über queer und trans und von hoch virtuosem Tanz bis hin zu inklusiven Tanzkompanien. Auf ein abwechslungsreiches, vielleicht auch provozierendes Programm von DANCE darf man sich freuen mit choreografischen Größen wie Matilde Monnier mit „Records“, Richard Siegal mit seinen virtuosen Balletten „Triple“ und „Xerrox Vol.2“

Dass es auch im klassischen Ballett Provokationen gab und gibt, schildert Serge Honnegger anschaulich. Hier sind aktuell inhaltliche Eingriffe im Original von erheblicher Tragweite, wie der Skandal um die Berliner „Nussknacker“-Ballettaufführung aus dem Jahr 2021 zeigt. Weil die Darstellung der Chinesen und Orientalen in diesem Ballett als rassistisch betrachtet wurde, verschwand kurzerhand dieser Klassiker vom Spielplan – bis zur Überarbeitung der Produktion in eine zeitgemäße Form. Klar wird, dass die Provokation des Körperlichen tanzstilübergreifend auftaucht, was zeigt, dass klassisches Ballett weit mehr ist als eine reine Formensprache. Wie sich diese aktuell verändert, kann man anhand der „Bayadere“ von Patrice Bart / Marius Petipa am Bayerischen Staatsballett nachverfolgen.

Skandale, Provokationen bringen immer neue Tanzstile hervor die sich gegenseitig beeinflussen, klassisches Ballett und zeitgenössischer Tanz sind in ständigem, gegenseitigem Austausch, in Bewegung genauso wie der gesellschaftliche Kontext, lautet das Fazit dieses Abends.
So war die gut besuchte Veranstaltung ein bewegender Abend, gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam. Zu hoffen bleibt, dass diese Salonkultur weiterhin lebendig bleibt, gern auch provokant - mit oder ohne köstlicher Balletttorte, wie sie an diesem Abend als krönender Abschluss kredenzt wurde.


Weiterführende links:
dance-muenchen.de
www.munich-dance-histories.de
www.staatsoper.de/staatsballett

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