„An Evening with Raimund“ von Luca Giacomo Schulte und Emmanuel Eggermont
„An Evening with Raimund“ von Luca Giacomo Schulte und Emmanuel Eggermont

Der letzte Applaus

Das DANCE Festival lädt ein – ein letzter Abend mit dem verstorbenem Choreografen Raimund Hoghe

Zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod von Raimund Hoghe war es im Rahmen des DANCE Festivals nochmals möglich, sich eine Zusammenschau seiner Werke anzusehen und einen letzten Abend mit ihm im Stück „An Evening with Raimund“ zu verbringen. Ein schöner Abschluss einer Ära für Hoghe-Fans.

München, 24/05/2023
Von Sabrina Warg

„An Evening with Raimund“ ist eine Hommage an den 2021 unvermittelt verstorbenen Künstler Raimund Hoghe. Er war ein sehr bedeutender und einflussreicher Choreograf und Tänzer des späten 20. Jahrhunderts wie auch vor allem ein großer Advokat für Inklusion und Diversität im zeitgenössischen Tanz. In seinen Stücken wurden oft politische Themen angesprochen, und Hoghe schreckte nicht zurück, für seine eigene Meinung einzustehen. Diese Hingabe zu seiner Arbeit wurde auch wiederholt geehrt und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Tanzpreis 2020.

Nachdem Hoghe sehr plötzlich aus den Leben der Kunstschaffenden gerissen wurde, ist knapp einen Monat nach seinem Ableben bereits „An Evening with Raimund“ entstanden. Hierbei handelt es sich um ein choreografisches Werk, das Passagen aus dem von Hoghe im Zeitraum 2002-2019 geschaffenen Oeuvre aufgreift und zu einer neuen Produktion zusammenfügt. Es ist eine Rezeption der Stücke, keine Kopie. Statt nachgestellten Passagen sieht man auf der Bühne eher Referenzen an Hoghes Stücke. Zusammengestellt und überarbeitet wurde der Abend von Luca Giacomo Schulte und Emmanuel Eggermont, zwei der langjährigen Begleiter von Hoghes Karriere, die in dem Werk auch selbst mitwirken.

Ein Best-Of – nur etwas abgeändert

Wir blicken auf ein Bühnenbild, das denen von Hoghe sehr ähnlich ist. Ein leerer und dunkler Raum, welcher statt Wände von schwarzen hohen Vorhängen begrenzt wird. Das Licht ist schlicht und hell. Man merkt von Anfang an, dass der Fokus des Stückes auf den Tänzer*innen liegt.
Es beginnt mit einer leeren Bühne, aus den Lautsprechern ertönt die Stimme einer Dame, welche über das Stück „Swan Lake“ spricht. Man soll auf die Musik hören, dann erst beginnt die Reise, auf die Hoghe und nun auch Schulte und Eggermont mitnehmen wollen. Sobald die Tänzer*innen auf die Bühne treten, ist die Stimmung betrübt. Man spürt förmlich das Vermissen aller derer, die nun schon seit zwei Jahren nicht mehr mit Hoghe zusammenarbeiten können. Es wird sich nur langsam in kleinen Schritten über die Bühne bewegt – alles wirkt sehr bedacht und vorsichtig.

Das Stück wird nicht im Ganzen von Musik oder Originalaufnahmen von Interviews begleitet. Während sie sich über die Bühne bewegen, hört man teils nur die Schritte der Tänzer*innen am Boden und das Rascheln ihrer Kostüme. In diesen Momenten der Klangebbe würde man eine Stecknadel fallen hören, denn die Augen jedes einzelnen Publikumsmitglieds sind voller Spannung auf die Bühne gerichtet.
Der Wechsel zwischen den einzelnen Sequenzen ist vor allem durch die Musik und die eingespielten Sprechpassagen erkennbar. Es wird eine Bandbreite an Musiktypen abgedeckt, zu denen getanzt wurde. Es geht nahtlos von klassischer Musik und Violinen-Soli zu einer Passage aus „Singing in the Rain“ über. Dann kommt es zu opernhaftem Live-Gesang von einer der Tänzerinnen, die während ihres Auftrittes den Rand des Raumes entgegen des Uhrzeigersinns abläuft.

Es werden Live-Aufnahmen von Liedern gespielt, auf denen der Applaus des Publikums zu hören ist, welcher sehr zum Mitapplaudieren einlädt – dies wird aber nicht getan. Die Tänzer*innen sprechen das Publikum in manchen Momenten direkt an, beispielsweise als ein Teil des Gedichtes „Si je meurs laissez le balcon ouvert“ vorgetragen wird. Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf Hoghes gleichnamiges Stück.

Spiel mit Ebbe und Flut

Während in manchen Sequenzen alle Tänzer*innen auf der Bühne sind und alle unterschiedliche Bewegungsabfolgen darlegen, kommt es in anderen Momenten dazu, dass sich Darsteller*innen allein auf der Bühne befinden. Man weiß in manchen Augenblicken kaum, wohin man schauen soll, da so vieles gleichzeitig passiert und man nichts verpassen will, doch in manchen Szenen wird der Blick des Zuschauers gezielt auf einen oder zwei der tanzenden Menschen gelenkt.

Es gibt auch mehrmals drastische Stimmungs- und Tempowechsel. In einer Szene wird allein zu einem ruhigen Violinen-Stück getanzt, im nächsten Moment treten Ornella Ballestra und Finola Cronin mit einer lebhaften Choreografie zu einer Cover-Version des Liedes „These Boots are made for Walking“ auf. Dies lockert die sonst sehr angespannte und konzentrierte Stimmung, die sich über den Lauf des Abends aufgebaut hat.

Eine Referenz glückt nur, wenn man den Bezug kennt

„An Evening with Raimund“ basiert auf mehreren Sequenzen aus schon bestehenden Stücken Hoghes. Wenn man aber die Stücke selbst nie sehen konnte, führt dies unausweichlich zu Verständnisproblemen der Zuschauer*innen. Es bringt umso mehr Freude, ein ‚Best of‘ zu sehen, wenn auch wirklich Teile wiedererkannt werden. Wenn man sich das Stück ansieht, ohne je in den Genuss eines der Stücke von Hoghe gekommen zu sein, fühlt sich „An Evening with Raimund“ an, als ob einem Teilwissen fehlt. Das Stück ist immer noch schön anzusehen, jedoch kommt man sich teils in der eigenen Zuschauererfahrung ausgeschlossen vor. Während in vielen Momenten von Hoghe-Fans geseufzt und geschmunzelt wurde, da vergrabene Erinnerungen geweckt wurden, kam es bei anderen Zuschauenden immer wieder zu verwirrten Blicken.

Am besten konnte ich das an den fünf Personen vor mir beobachten. Drei Studierende, die sich das Stück im Rahmen eines Seminars ansahen, die keinerlei Vorwissen zu Hoghe oder seinen Stücken hatten und neben ihnen ein älteres Paar, welches schon mehrere Inszenierungen von Hoghe gesehen hat. Während die drei Studierenden genossen sich „von dem Stück berieseln zu lassen“, sah man dem daneben sitzenden Paar an, dass sie sich freuten, wenn sie eines der Stücke wiedererkannten und dieses in ihren Köpfen nochmals revuepassieren lassen konnten. Beide Gruppen meinten nach dem Stück, dass es ihnen gefallen habe, jedoch wirkte das Paar aufgrund des persönlichen Bezugs zu Hoghe sehr viel begeisterter von der Umsetzung als die Studierenden.

Danke, Herr Hoghe!

Der Applaus am Ende des Abends ist herzerwärmend und lang, einige Menschen geben Standing-Ovations. Während der Applaus eines Stücks meist den Tänzer*innen oder Menschen hinter den Kulissen gewidmet ist, fühlte sich dies eher wie ein letzter Applaus für Hoghe an. Die neun Akteur*innen, die in den 90 Minuten davor auf der Bühne standen, verbeugen sich und lächeln, jedoch deuten sie alle mehrmals auf das Bild von Hoghe, welches während der letzten Sequenz vor ihnen aufgestellt wurde. Der Abschluss der Performance wirkte wie das Ende einer Ära.

Man schwelgt noch in Erinnerungen und Eindrücken und sieht den Tänzer*innen deutlich an, dass sie dasselbe tun. Als sich die Bühne dann schlussendlich leert und sich das Publikum auf den Nachhauseweg macht, schwingt ein schlichter Gedanke bei mir deutlich mit: „Danke Herr Hoghe, für diesen Abend mit Ihnen!“

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU unter der Leitung von Anna Beke.

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