Das sichtbare Unsichtbare
„Tracing the Negative Space“ von Angelika Meindl, Tobias Gremmler und Thomas Mahnecke auf dem DANCE Festival 2023 in München
München, 22/05/2023
Von Julian Hofmann
„The Negative Space“, der leere Raum um und zwischen Subjekten, seine Nutzung und Wirkung. Damit beschäftigt sich das Trio im Rahmen des Schwerpunkts Tanz & Digitalität bei DANCE 2023.
Dieser Fokus prägt schon seit geraumer Zeit die jeweilige Arbeit der drei Künstler*innen: Angelika Meindl (Künstlerische Leitung und Choreografie) durchläuft ursprünglich eine klassische Ballettausbildung, studiert später verschiedene zeitgenössische Tanzstile. Sie widmet sich der bildenden Kunst, Klangkunst und Bewegung, die sie spielerisch miteinander verbinden möchte. So auch Tanz und Performance mit moderner Medientechnologie. Beispiele sind interaktive Rauminstallationen für Tanzperformances, die sie gemeinsam mit Thomas Mahnecke entwickelt.
Mahnecke (Technische Leitung und technisches Design), ausgebildeter Video- und Tontechniker, absolvierte seine Studien in visueller Gestaltung, Medientechnologie und digitaler Nachrichtentechnik. Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit der Erstellung komplexer Rauminstallationen. Moderne Technologien und bewährte traditionelle Bühnentechniken sollen bei ihm zu einer neuen visuellen Ausdrucksform verschmelzen.
Mit Tobias Gremmler (Visual Artwork) teilt Meindl ein gemeinsames Interesse: Eigene Welten daraus entstehen zu lassen, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Gremmlers Karriere begann im Theater, wo er Musik für Tanz komponierte, daher der Kontakt zu Meindl. Als Medienkünstler und -designer ist er seit den frühen 1990er Jahren tätig. In seiner Arbeit schafft Gremmler visuelle Kompositionen mittels digitaler Techniken und Lösungen.
Die Idee hinter ihrem gemeinsamen Projekt „Tracing the Negative Space“ gründet auf der Vorstellung, dass sich unsere Zukunft unaufhörlich wandelt. Nichts steht still, alles ist in Bewegung, wie auch unser Körper, der Spuren hinterlässt und sein energetisches Umfeld neu formiert. Diesen Bereich ohne feste sichtbare Materie, die Energieströme, die höchstens spürbar sein können, stellen Meindl, Gremmler und Mahnecke auf künstlerische Weise dar.
Ein dunkler Raum, an den sich die Augen erst gewöhnen müssen. Die Tänzerin Federica Faini ist zunächst nur mit den grün-blinkenden Sensoren zu erkennen, die an ihrem Catsuit befestigt sind. Hinter ihr befindet sich eine 270°-Leinwand, über dessen gesamte Breite sich ihr Aktionsraum erstreckt. Die 3D-Projektoren starten und werfen einen schemenhaften menschlichen Körper, aufgelöst in kleine Punkte, an die Fläche hinter Faini. Die Tänzerin beginnt mit kleinen, ruhigen Bewegungen, und die Punkte folgen ihr synchron. Je ausladender die Bewegungen, umso mehr Partikel fliegen von der virtuellen Gestalt in den Raum. Große Schwünge mit den Armen füllen eindrucksvoll die Leinwand und sprühen wie Funken den Zuschauer*innen entgegen. Der schemenhafte Körper verschwindet dabei in der Wirkung seines Tanzes.
Lines
Ein kurzer Black führt, wie bei jeder der fünf Kategorien, zum nächsten System. Faini beginnt mit einem Stillstand in der Mitte des Raumes. Kräftige Linien laufen in der Projektion nach links, feine weiße Linien nach rechts von ihr weg. Die Musik untermalt das Visuelle mit teils lang gezogenen Tönen. Mit jeder Bewegung der Tänzerin schlagen die Linien aus, formen Kreise und Strukturen, die im stetigen Fluss nach links und rechts weggetragen werden, bis sie verblassen.
Fibers
Ein Bündel aus waagerechten Fasern, die in der Mitte miteinander verbunden zu sein scheinen, schwebt in der Form eines Würfels still im Raum. Kleine Bewegungen, kleine wellenartige Ausschläge. Mit kreisenden Bewegungen ihrer Arme und Beine wie auch um sich selbst lässt Faini das Bündel umherwirbeln, mal größer, mal kleiner werden, je nachdem wie nah oder fern sie an der Leinwand tanzt. Die Drehungen wirken sich hier am imposantesten auf die geschaffene virtuelle Struktur aus.
Aqua
Das bisher sachte weiße Bühnenlicht färbt sich in ein sanftes Blau. Wie eine menschliche Fontäne steigt Fainis Avatar aus einer breiten Wasserpfütze, die sich über die Breite der Wand erstreckt. Mit ihrer eleganten Dynamik verteilt sie das dickflüssige Wasser, lässt es von sich wegspritzen, doch scheint es sich immer wieder um sie zu sammeln, um im nächsten Moment erneut verdrängt zu werden.
Dolls
In der letzten Kategorie wehen – wie ein weißes Tuch, das einen Körper umhüllt – mehrere Puppen im schwarzen Raum. Sie alle bewegen sich synchron zu Fainis Befehlen, die mal flach über den Boden schweift, mal ausladend über die Breite des Raumes tanzt. Trotz ihrer Gleichzeitigkeit berühren sie sich teilweise und wirken, als würden sie sich gegenseitig beeinflussen.
Die Installation
Das beeindruckende Erlebnis der Live-Performance wird bearbeitet und erweitert für eine Ausstellung, die den Tanz und seine Wirkung in der Zeit visuell tradiert. Besonders zur Geltung kommt das im ersten Teil der Installation, bei dem manche der Partikelsysteme in 3D, mit entsprechenden Brillen für die Zuschauer, dargestellt sind. Die Fasern erscheinen dabei faszinierend lebhaft. Sie sind länger als in der Performance und füllen so mit ihrem Schwingen und Drehen den gesamten Raum. Sie treten aus der Wand heraus, und man kann fast spüren, wie sie das eigene Gesicht streifen. Aber auch das Wasser mutet an, die Umgebung zu überfluten und den Betrachter jeden Moment mit seinen Wellen und Spritzern zu erfassen.
Der zweite Teil zeigt eine Komposition von verschiedenen Bewegungsmustern und Blickwinkeln aus den jeweiligen Kategorien und kommt ohne den 3D-Effekt aus. Hier sprühen Punkte von mehreren Avataren aus allen Richtungen der Leinwand in unterschiedlichen Größen auf den Zuschauer zu und von ihm weg. Die Puppen tanzen, nicht wie bei der Performance synchron, sondern durchmischt in ihren rhythmischen Abläufen durcheinander. Das Wasser ist aus der Vogelperspektive zu betrachten, wie es sich ausbreitet und wieder sammelt.
Unsichtbare Energieströme
Mit der Kombination aus Live-Performance und Installation gelingt es Meindl, Gremmler und Mahnecke, die unsichtbaren Energieströme wie auch die Bewegungsdynamik der Tänzerin, in den realen, virtuell erweiterten Raum zu überführen. Digitale Techniken ermöglichen dem Unsichtbaren den negativen Raum eindrücklich mit den entstehenden Strukturen zu füllen und visuell fassbar zu machen.
Eine großartige Erfahrung, die den Tanz im Licht seiner vielfältigen Möglichkeiten in Kombination mit modernster Technologie erstrahlen lässt.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU unter der Leitung von Anna Beke.
„The Negative Space“, der leere Raum um und zwischen Subjekten, seine Nutzung und Wirkung. Damit beschäftigt sich das Trio im Rahmen des Schwerpunkts Tanz & Digitalität bei DANCE 2023.
Dieser Fokus prägt schon seit geraumer Zeit die jeweilige Arbeit der drei Künstler*innen: Angelika Meindl (Künstlerische Leitung und Choreografie) durchläuft ursprünglich eine klassische Ballettausbildung, studiert später verschiedene zeitgenössische Tanzstile. Sie widmet sich der bildenden Kunst, Klangkunst und Bewegung, die sie spielerisch miteinander verbinden möchte. So auch Tanz und Performance mit moderner Medientechnologie. Beispiele sind interaktive Rauminstallationen für Tanzperformances, die sie gemeinsam mit Thomas Mahnecke entwickelt.
Mahnecke (Technische Leitung und technisches Design), ausgebildeter Video- und Tontechniker, absolvierte seine Studien in visueller Gestaltung, Medientechnologie und digitaler Nachrichtentechnik. Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit der Erstellung komplexer Rauminstallationen. Moderne Technologien und bewährte traditionelle Bühnentechniken sollen bei ihm zu einer neuen visuellen Ausdrucksform verschmelzen.
Mit Tobias Gremmler (Visual Artwork) teilt Meindl ein gemeinsames Interesse: Eigene Welten daraus entstehen zu lassen, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Gremmlers Karriere begann im Theater, wo er Musik für Tanz komponierte, daher der Kontakt zu Meindl. Als Medienkünstler und -designer ist er seit den frühen 1990er Jahren tätig. In seiner Arbeit schafft Gremmler visuelle Kompositionen mittels digitaler Techniken und Lösungen.
Die Idee hinter ihrem gemeinsamen Projekt „Tracing the Negative Space“ gründet auf der Vorstellung, dass sich unsere Zukunft unaufhörlich wandelt. Nichts steht still, alles ist in Bewegung, wie auch unser Körper, der Spuren hinterlässt und sein energetisches Umfeld neu formiert. Diesen Bereich ohne feste sichtbare Materie, die Energieströme, die höchstens spürbar sein können, stellen Meindl, Gremmler und Mahnecke auf künstlerische Weise dar.
Ein dunkler Raum, an den sich die Augen erst gewöhnen müssen. Die Tänzerin Federica Faini ist zunächst nur mit den grün-blinkenden Sensoren zu erkennen, die an ihrem Catsuit befestigt sind. Hinter ihr befindet sich eine 270°-Leinwand, über dessen gesamte Breite sich ihr Aktionsraum erstreckt. Die 3D-Projektoren starten und werfen einen schemenhaften menschlichen Körper, aufgelöst in kleine Punkte, an die Fläche hinter Faini. Die Tänzerin beginnt mit kleinen, ruhigen Bewegungen, und die Punkte folgen ihr synchron. Je ausladender die Bewegungen, umso mehr Partikel fliegen von der virtuellen Gestalt in den Raum. Große Schwünge mit den Armen füllen eindrucksvoll die Leinwand und sprühen wie Funken den Zuschauer*innen entgegen. Der schemenhafte Körper verschwindet dabei in der Wirkung seines Tanzes.
Lines
Ein kurzer Black führt, wie bei jeder der fünf Kategorien, zum nächsten System. Faini beginnt mit einem Stillstand in der Mitte des Raumes. Kräftige Linien laufen in der Projektion nach links, feine weiße Linien nach rechts von ihr weg. Die Musik untermalt das Visuelle mit teils lang gezogenen Tönen. Mit jeder Bewegung der Tänzerin schlagen die Linien aus, formen Kreise und Strukturen, die im stetigen Fluss nach links und rechts weggetragen werden, bis sie verblassen.
Fibers
Ein Bündel aus waagerechten Fasern, die in der Mitte miteinander verbunden zu sein scheinen, schwebt in der Form eines Würfels still im Raum. Kleine Bewegungen, kleine wellenartige Ausschläge. Mit kreisenden Bewegungen ihrer Arme und Beine wie auch um sich selbst lässt Faini das Bündel umherwirbeln, mal größer, mal kleiner werden, je nachdem wie nah oder fern sie an der Leinwand tanzt. Die Drehungen wirken sich hier am imposantesten auf die geschaffene virtuelle Struktur aus.
Aqua
Das bisher sachte weiße Bühnenlicht färbt sich in ein sanftes Blau. Wie eine menschliche Fontäne steigt Fainis Avatar aus einer breiten Wasserpfütze, die sich über die Breite der Wand erstreckt. Mit ihrer eleganten Dynamik verteilt sie das dickflüssige Wasser, lässt es von sich wegspritzen, doch scheint es sich immer wieder um sie zu sammeln, um im nächsten Moment erneut verdrängt zu werden.
Dolls
In der letzten Kategorie wehen – wie ein weißes Tuch, das einen Körper umhüllt – mehrere Puppen im schwarzen Raum. Sie alle bewegen sich synchron zu Fainis Befehlen, die mal flach über den Boden schweift, mal ausladend über die Breite des Raumes tanzt. Trotz ihrer Gleichzeitigkeit berühren sie sich teilweise und wirken, als würden sie sich gegenseitig beeinflussen.
Die Installation
Das beeindruckende Erlebnis der Live-Performance wird bearbeitet und erweitert für eine Ausstellung, die den Tanz und seine Wirkung in der Zeit visuell tradiert. Besonders zur Geltung kommt das im ersten Teil der Installation, bei dem manche der Partikelsysteme in 3D, mit entsprechenden Brillen für die Zuschauer, dargestellt sind. Die Fasern erscheinen dabei faszinierend lebhaft. Sie sind länger als in der Performance und füllen so mit ihrem Schwingen und Drehen den gesamten Raum. Sie treten aus der Wand heraus, und man kann fast spüren, wie sie das eigene Gesicht streifen. Aber auch das Wasser mutet an, die Umgebung zu überfluten und den Betrachter jeden Moment mit seinen Wellen und Spritzern zu erfassen.
Der zweite Teil zeigt eine Komposition von verschiedenen Bewegungsmustern und Blickwinkeln aus den jeweiligen Kategorien und kommt ohne den 3D-Effekt aus. Hier sprühen Punkte von mehreren Avataren aus allen Richtungen der Leinwand in unterschiedlichen Größen auf den Zuschauer zu und von ihm weg. Die Puppen tanzen, nicht wie bei der Performance synchron, sondern durchmischt in ihren rhythmischen Abläufen durcheinander. Das Wasser ist aus der Vogelperspektive zu betrachten, wie es sich ausbreitet und wieder sammelt.
Unsichtbare Energieströme
Mit der Kombination aus Live-Performance und Installation gelingt es Meindl, Gremmler und Mahnecke, die unsichtbaren Energieströme wie auch die Bewegungsdynamik der Tänzerin, in den realen, virtuell erweiterten Raum zu überführen. Digitale Techniken ermöglichen dem Unsichtbaren den negativen Raum eindrücklich mit den entstehenden Strukturen zu füllen und visuell fassbar zu machen.
Eine großartige Erfahrung, die den Tanz im Licht seiner vielfältigen Möglichkeiten in Kombination mit modernster Technologie erstrahlen lässt.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU unter der Leitung von Anna Beke.
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