Ahora o nunca – Jetzt oder nie
Der Dokumentarfilm „A way to B“ (2022) von Jos de Putter und Clara van Gool über das katalanische Tanzkollektiv „Liant la Troca“
München, 15/05/2023
Von Amelie Menzel
In „A way to B” vermischen sich die Erfahrungen der niederländischen Filmemacher Jos de Putter und Clara van Gool. Jos de Putter hat viele preisgekrönte Dokumentarfilme herausgebracht, und sein erster Film „It’s been a lovely day“ gilt als einer der besten niederländischen Filme. Clara van Gool hat verfilmte Choreografien, darunter den Emmy-Gewinner „Enter Achilles“, aber auch mehrere Dokumentationen mit Tanz im Zentrum veröffentlicht. Die beiden sind seit 1999 miteinander verheiratet und haben schon gemeinsam an Filmen gearbeitet, für „A way to B“ führen sie aber zum ersten Mal gemeinsam Regie und sind auch beide als Autor*in tätig. Der 90-minütige Film ist eine gut balancierte Mischung aus Dokumentation des alltäglichen Lebens mit Erzählungen der einzelnen Tänzer*innen und künstlerisch gestalteten und gefilmten Tanzeinlagen. Dargestellt ist das Tanzkollektiv Liant la Troca mit dem Choreografen Jordi Cortés Molina. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, durch Tanzperformances mit Menschen unterschiedlicher motorischer und künstlerischer Fähigkeiten Kunst zu erschaffen.
Inhalte kommunizieren
Es beginnt mit einer Frau (Desi) auf einer leeren Bühne. Durch eine motorische Störung ist sie nur schwer zu verstehen. Sie spricht darüber, wie viel die Leute reden, ohne dass sie wirklich etwas sagen. Sie kritisiert, dass sie mehr Wert darauf legen, wie etwas gesagt wird, als darauf, zu kommunizieren. Sie sagt es nicht, aber es ist klar, dass sie den Tanz als Exempel für gute Kommunikation aufführt. Dann kommt das Titelbild.
Wir werden mitten in den Trubel der Vorbereitungen für eine Performance geworfen. Es ist nun laut und verwirrend. Plötzliche Stille folgt, während Bilder von Barcelona gezeigt werden, sodann ein Park, wo wir auf Mercedes treffen, die mit ihrem Begleithund dort spazieren geht. Sie begegnet einer Gruppe Tänzer*innen, und der Fokus wechselt zu Rita, die im Rollstuhl sitzt und Miriam, deren eines Bein am Knie endet. Die beiden improvisieren erst zu kompletter Stille; man hört nur ihr Lachen, doch langsam kommt ruhige Musik auf und wird immer vordergründiger, während ihr gemeinsamer Tanz immer flüssiger wird, bis sie fast zu einer Person zu verschmelzen scheinen.
Alltägliche Herausforderungen
Beim nächsten Tanz stehen Desi und Joan im Mittelpunkt. Umgeben sind sie von den anderen Tänzer*innen, die sich erst langsam zu einer einem Herzschlag gleichenden Musik bewegen, bis diese sich zu einem unwirklichen Klang mit hohem Gesang entwickelt. Je schneller sie wird, desto schneller bewegen sich auch die Tänzer*innen. Desi bleibt als Einzige ganz ruhig. Nach und nach kommen alle zu ihr und halten sich an ihr fest.
Wir folgen Desi und ihrem Ehemann Philip, der im Rollstuhl sitzt, zu ihnen nach Hause, wo kommentarlos gezeigt wird, wie sie sich gegenseitig unterstützen. Desi erzählt, wie sie oft in ihren geistigen Fähigkeiten unterschätzt wird.
Bei einem Gespräch zwischen Jaume, der ohne Unterleib geboren wurde und Xavi geht es um ihre Mobilitätshilfen. Xavi erzählt von den optischen Veränderungen an seinem Rollstuhl und wie wichtig es ihm ist, dass dieser nicht wie eine orthopädische Apparatur aussieht. Danach begleiten wir ihn in eine Gebetsstätte; er erklärt, dass er mit seinem Tanz Kunst schaffen und nicht Mitleid erregen will.
Später folgen wir Jordi bei einem Besuch bei Joan, der ihm seinen selbstgestalteten Dachgarten zeigt. Er erzählt, dass Menschen oft ungläubig auf seine Arbeit reagieren und an seiner Blindheit zweifeln. Dann sehen wir ihn an einem Bahnsteig. Im Hintergrund erzählt er, dass er oft einsam ist, denn er fühlt sich durch sein Unvermögen andere Leute sehen zu können selbst unsichtbar.
Wir begleiten Miguel-Angel zu einer seiner Street Performances vor der Sagrada Familia und hören ihn von seinem Suizidversuch erzählen, durch den er im Rollstuhl sitzt und davon, dass das Tanzen ihn gerettet hat.
Kunst muss kein Meisterwerk zum Ziel haben
Eine Performance auf einem öffentlichen Platz: Die Zuschauer*innen werden eingeladen, mitzutanzen. Nach gemeinsamem Atmen setzt Partymusik ein und alle beginnen, sich ausgelassen zu bewegen.
Dann erzählt Fernando über seine Arbeit als Schriftsteller, und dass man Kunst auch betreiben kann, wenn dabei am Ende kein Meisterwerk herauskommt. Wir begleiten ihn in einen Wald, wo im Hintergrund einer seiner Texte über einen Traum vorgelesen wird, während er mit einer Frau tanzt, die am Ende wieder verschwindet.
Später folgen wir Xavi in ein verlassenes Gebäude, wo er fast nackt zu einem Text tanzt, der in Gebärdensprache übersetzt wird: Menschen mit Behinderung werden oft asexuell betrachtet und nicht als potenzielle Partner angesehen.
Wir lernen Carla kennen und begleiten sie und ihre Mutter zu einer Probe. Es kommt eine Performance mit Streichermusik, bei der andere Tänzer*innen mit Seilen an ihrem Rollstuhl festgebunden sind. Sie kommt nur schwer voran. Jordi erreicht die Bühne und tanzt mit ihr in den Armen. Sie setzen sich gemeinsam wieder hin, und es scheint, als könnten sie sich so schneller fortbewegen.
Zuletzt wieder die erste Performance, von der einzelne Abschnitte und Zuschauerreaktionen gezeigt werden: Das letzte Bild zeigt Carla ins Publikum lächelnd. Während der Bildschirm schwarz wird, kommt großer Applaus auf. Auch im Kino wurde geklatscht.
Selbstbestimmtes Leben
Im Gespräch nach dem gemeinsamen Filmbesuch mit einer Person im Rollstuhl zeigte sich, wie relevant die gezeigten Themen für Betroffene sind: wie andere Menschen mit ihnen umgehen und die Kraft, die sie aufbringen, um ein erfülltes Leben zu erleben – die Suche nach einem würdevollen, selbstbestimmten Leben. Der Tanz bietet allen eine Möglichkeit, die eigene Identität zu finden und zu repräsentieren. Allerdings beschränkt sich der Film durch die porträtierten Personen auf bestimmte Formen der Behinderung.
Der Film romantisiert nichts. Zuschauer*innen, die sonst keine Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion haben, bekommen die Möglichkeit, sich in einem kunstgebundenen Kontext damit auseinanderzusetzen. Durch die nicht verbundenen und unkommentierten Erzählungen ist der Film ein Zusammenschnitt verschiedener Beiträge, so wie sie die betroffenen Menschen selbst teilen wollten. Die inneren Konflikte werden mit vielen Nahaufnahmen ohne weiteren Kommentar gut dargestellt. Die Komplexität gelebter Inklusion wird deutlich. Auch wird gezeigt, wie akzeptierend, liebevoll und hilfreich die Mitglieder der Company Liant la Troca miteinander umgehen. Eine ganze Welt an Gefühlen entfaltet sich und wird an den Zuschauer weitergereicht. Es gibt Momente zum Weinen und zum Lachen. Was aber am Ende übrigbleibt, ist der Impuls und die Lust zum Tanzen.
„A way to B“ ist über die Webseite von DOK.fest noch bis zum 21.05.2023 online verfügbar.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU unter der Leitung von Anna Beke.
In „A way to B” vermischen sich die Erfahrungen der niederländischen Filmemacher Jos de Putter und Clara van Gool. Jos de Putter hat viele preisgekrönte Dokumentarfilme herausgebracht, und sein erster Film „It’s been a lovely day“ gilt als einer der besten niederländischen Filme. Clara van Gool hat verfilmte Choreografien, darunter den Emmy-Gewinner „Enter Achilles“, aber auch mehrere Dokumentationen mit Tanz im Zentrum veröffentlicht. Die beiden sind seit 1999 miteinander verheiratet und haben schon gemeinsam an Filmen gearbeitet, für „A way to B“ führen sie aber zum ersten Mal gemeinsam Regie und sind auch beide als Autor*in tätig. Der 90-minütige Film ist eine gut balancierte Mischung aus Dokumentation des alltäglichen Lebens mit Erzählungen der einzelnen Tänzer*innen und künstlerisch gestalteten und gefilmten Tanzeinlagen. Dargestellt ist das Tanzkollektiv Liant la Troca mit dem Choreografen Jordi Cortés Molina. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, durch Tanzperformances mit Menschen unterschiedlicher motorischer und künstlerischer Fähigkeiten Kunst zu erschaffen.
Inhalte kommunizieren
Es beginnt mit einer Frau (Desi) auf einer leeren Bühne. Durch eine motorische Störung ist sie nur schwer zu verstehen. Sie spricht darüber, wie viel die Leute reden, ohne dass sie wirklich etwas sagen. Sie kritisiert, dass sie mehr Wert darauf legen, wie etwas gesagt wird, als darauf, zu kommunizieren. Sie sagt es nicht, aber es ist klar, dass sie den Tanz als Exempel für gute Kommunikation aufführt. Dann kommt das Titelbild.
Wir werden mitten in den Trubel der Vorbereitungen für eine Performance geworfen. Es ist nun laut und verwirrend. Plötzliche Stille folgt, während Bilder von Barcelona gezeigt werden, sodann ein Park, wo wir auf Mercedes treffen, die mit ihrem Begleithund dort spazieren geht. Sie begegnet einer Gruppe Tänzer*innen, und der Fokus wechselt zu Rita, die im Rollstuhl sitzt und Miriam, deren eines Bein am Knie endet. Die beiden improvisieren erst zu kompletter Stille; man hört nur ihr Lachen, doch langsam kommt ruhige Musik auf und wird immer vordergründiger, während ihr gemeinsamer Tanz immer flüssiger wird, bis sie fast zu einer Person zu verschmelzen scheinen.
Alltägliche Herausforderungen
Beim nächsten Tanz stehen Desi und Joan im Mittelpunkt. Umgeben sind sie von den anderen Tänzer*innen, die sich erst langsam zu einer einem Herzschlag gleichenden Musik bewegen, bis diese sich zu einem unwirklichen Klang mit hohem Gesang entwickelt. Je schneller sie wird, desto schneller bewegen sich auch die Tänzer*innen. Desi bleibt als Einzige ganz ruhig. Nach und nach kommen alle zu ihr und halten sich an ihr fest.
Wir folgen Desi und ihrem Ehemann Philip, der im Rollstuhl sitzt, zu ihnen nach Hause, wo kommentarlos gezeigt wird, wie sie sich gegenseitig unterstützen. Desi erzählt, wie sie oft in ihren geistigen Fähigkeiten unterschätzt wird.
Bei einem Gespräch zwischen Jaume, der ohne Unterleib geboren wurde und Xavi geht es um ihre Mobilitätshilfen. Xavi erzählt von den optischen Veränderungen an seinem Rollstuhl und wie wichtig es ihm ist, dass dieser nicht wie eine orthopädische Apparatur aussieht. Danach begleiten wir ihn in eine Gebetsstätte; er erklärt, dass er mit seinem Tanz Kunst schaffen und nicht Mitleid erregen will.
Später folgen wir Jordi bei einem Besuch bei Joan, der ihm seinen selbstgestalteten Dachgarten zeigt. Er erzählt, dass Menschen oft ungläubig auf seine Arbeit reagieren und an seiner Blindheit zweifeln. Dann sehen wir ihn an einem Bahnsteig. Im Hintergrund erzählt er, dass er oft einsam ist, denn er fühlt sich durch sein Unvermögen andere Leute sehen zu können selbst unsichtbar.
Wir begleiten Miguel-Angel zu einer seiner Street Performances vor der Sagrada Familia und hören ihn von seinem Suizidversuch erzählen, durch den er im Rollstuhl sitzt und davon, dass das Tanzen ihn gerettet hat.
Kunst muss kein Meisterwerk zum Ziel haben
Eine Performance auf einem öffentlichen Platz: Die Zuschauer*innen werden eingeladen, mitzutanzen. Nach gemeinsamem Atmen setzt Partymusik ein und alle beginnen, sich ausgelassen zu bewegen.
Dann erzählt Fernando über seine Arbeit als Schriftsteller, und dass man Kunst auch betreiben kann, wenn dabei am Ende kein Meisterwerk herauskommt. Wir begleiten ihn in einen Wald, wo im Hintergrund einer seiner Texte über einen Traum vorgelesen wird, während er mit einer Frau tanzt, die am Ende wieder verschwindet.
Später folgen wir Xavi in ein verlassenes Gebäude, wo er fast nackt zu einem Text tanzt, der in Gebärdensprache übersetzt wird: Menschen mit Behinderung werden oft asexuell betrachtet und nicht als potenzielle Partner angesehen.
Wir lernen Carla kennen und begleiten sie und ihre Mutter zu einer Probe. Es kommt eine Performance mit Streichermusik, bei der andere Tänzer*innen mit Seilen an ihrem Rollstuhl festgebunden sind. Sie kommt nur schwer voran. Jordi erreicht die Bühne und tanzt mit ihr in den Armen. Sie setzen sich gemeinsam wieder hin, und es scheint, als könnten sie sich so schneller fortbewegen.
Zuletzt wieder die erste Performance, von der einzelne Abschnitte und Zuschauerreaktionen gezeigt werden: Das letzte Bild zeigt Carla ins Publikum lächelnd. Während der Bildschirm schwarz wird, kommt großer Applaus auf. Auch im Kino wurde geklatscht.
Selbstbestimmtes Leben
Im Gespräch nach dem gemeinsamen Filmbesuch mit einer Person im Rollstuhl zeigte sich, wie relevant die gezeigten Themen für Betroffene sind: wie andere Menschen mit ihnen umgehen und die Kraft, die sie aufbringen, um ein erfülltes Leben zu erleben – die Suche nach einem würdevollen, selbstbestimmten Leben. Der Tanz bietet allen eine Möglichkeit, die eigene Identität zu finden und zu repräsentieren. Allerdings beschränkt sich der Film durch die porträtierten Personen auf bestimmte Formen der Behinderung.
Der Film romantisiert nichts. Zuschauer*innen, die sonst keine Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion haben, bekommen die Möglichkeit, sich in einem kunstgebundenen Kontext damit auseinanderzusetzen. Durch die nicht verbundenen und unkommentierten Erzählungen ist der Film ein Zusammenschnitt verschiedener Beiträge, so wie sie die betroffenen Menschen selbst teilen wollten. Die inneren Konflikte werden mit vielen Nahaufnahmen ohne weiteren Kommentar gut dargestellt. Die Komplexität gelebter Inklusion wird deutlich. Auch wird gezeigt, wie akzeptierend, liebevoll und hilfreich die Mitglieder der Company Liant la Troca miteinander umgehen. Eine ganze Welt an Gefühlen entfaltet sich und wird an den Zuschauer weitergereicht. Es gibt Momente zum Weinen und zum Lachen. Was aber am Ende übrigbleibt, ist der Impuls und die Lust zum Tanzen.
„A way to B“ ist über die Webseite von DOK.fest noch bis zum 21.05.2023 online verfügbar.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU unter der Leitung von Anna Beke.
Kommentare
Noch keine Beiträge
Please login to post comments