"The Lovers" von Stephan Herwig

"The Lovers" von Stephan Herwig

Stiller Puls

Das neue schwere reiter eröffnet mit Stephan Herwigs „The Lovers“

Im Zentrum der neuen Arbeit des Münchner Choreografen steht die Schönheit der körperlichen Intimität, Anziehung und Nähe. Leider verliert sich der Abend nach der anfänglichen Spannung in seinen Wiederholungen.

München, 25/09/2021

Es ist ein wenig wie bei beliebten Buch- und Filmreihen: Der erste Teil ist der beste, und den Sequels gelingt es nicht, an ihren Vorgänger, an den Startpunkt, heranzukommen. So auch in Stephan Herwigs neuer Produktion „The Lovers“, deren viel versprechende Anfangssequenz den inoffiziellen Höhepunkt des Abends ausmacht. Zu Beginn ist der Bühnenraum für eine Weile, vielleicht sogar wenige Minuten, vollständig abgedunkelt. Ganz langsam schleichend beginnen zwei Scheinwerfer in der Mitte drei Schemen, die ineinander verschlungen auf einem quadratischen Teppich positioniert sind, mattrot anzuleuchten. Noch ist kein Laut zu vernehmen, dennoch scheint der Situation ein stiller Puls innezuwohnen, der ganz gemächlich in einen zunehmend lauteren real hörbaren Elektrobeat mündet.

Indem der Beat immer stärker und eindringlicher wird, beginnt sich das Gewirr der drei Tanzkörper in Zeitlupe zu bewegen, weich, sinnlich, wie in Trance und im Rausch einer ausgelassenen Partynacht. Die Tänzer*innen Anima Henn, Alexandre May und Alessandro Sollima, allesamt gekleidet in weite schwarze Stoffhosen, weiße Unterhemden, anfangs darüber rote Oberteile mit orientalisch anmutenden Goldmusterungen, agieren als dreiteilige Körpereinheit. In weichen Bewegungen suchen sie die Nähe zueinander, berühren sich auf intime Weise, und es scheint, als erforschten sie die Körper der anderen und damit ihren eigenen, während mittlerweile bewegte Discolichter zur immer wiederkehrenden Liedzeile „You gotta feel it“ über die Bühnenwand tanzen. Während die Musik nach einigen Minuten ihren energetischen Höhepunkt erreicht, bleibt der Tanz beinahe schüchtern, zurückhaltend, bei sich und erzeugt eine anregende sinnliche Spannung.

„The Lovers“ ist die Eröffnungsproduktion des neu gebauten schwere reiters, einer Spielstätte für Theater, Tanz und Musik aus der freien Szene. Mit Stephan Herwigs Arbeit wurde dabei ein Künstler präsentiert, der seit vielen Jahren eng mit München verbunden ist. 2018 gewann der Choreograf den Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München und arbeitet seit 2019 mit Unterstützung der dreijährigen Optionsförderung. Für München und insbesondere das schwere reiter ist er damit ein beliebter Stammgast, der sich für dessen Neueröffnung geradezu aufzwängt.

Leider gelingt es dem Choreografen in seiner neuesten Arbeit nicht, das Niveau der vielversprechenden und ästhetisch anmutenden Anfangssequenz aufrechtzuerhalten. Es scheint, als fehle dem Abend ein wenig die Richtung, das Ziel, dessen er sich annähern möchte. Immer wieder wechseln sich stille Abschnitte mit Passagen ab, die durch Elektrobeats begleitet werden. Immer wieder wechseln sich vornehmlich regungslose, bewegungsarme und posierende Abschnitte mit Passagen ab, in denen die Tänzer*innen wie durch kleine Energieschübe kurz in weiche (Ver-)Drehungen mit schwingenden Armen und letztlich auch Sprünge finden. Das Zusammenspiel von Musik und Tanz läuft dabei allerdings weitgehend unabhängig voneinander ab. Laute und energetische Musikpassagen führen keinesfalls dazu, dass auch die Tänzer*innen in einen energetischeren Status gelangen. Auch das Wechselspiel von Musik und Stille scheint keinem erkennbaren Muster zu folgen und wirkt bisweilen fast beliebig. Und ganz allgemein bleibt die theatrale Grundsituation unterdefiniert, wodurch Momente, in denen die Tänzer*innen Trinkpausen einlegen und scheinbar privat miteinander kommunizieren, eher für Verwirrung sorgen.

Der Ankündigungstext von „The Lovers“ verspricht für den Abend eine Auflösung stereotyper Geschlechterrollen. Was über Kostüm, Make-up und Tanz, der in Bewegungsrepertoire, Ausführung und Haltung bei allen drei Tänzer*innen deckungsgleich wirkt, dann aber suggeriert wird, ist eine Gleichförmigkeit. Vielleicht ist es das Anliegen von Stephan Herwig, die herrschenden Vorstellungen der Geschlechter-Binarität in einer Vereinheitlichung aller Körper aufzulösen, sodass genderspezifische Zuschreibungen seitens der Zuschauer*innen gar nicht erst angeregt werden können. Durch diese choreografischen und weiteren ästhetischen Entscheidungen nimmt der Abend aber eben nicht den wichtigen Bezug auf die Vielzahl an existierenden Geschlechtsidentitäten und auf seine performative Natur, die besagt, dass jene durch jeden Sprechakt und jede Tat kontinuierlich neu konstruiert werden.

Was vom Abend vielmehr als der Genderdiskurs im Vordergrund steht, ist ein doch sehr positives Gefühl von körperlicher Intimität, Anziehung und Nähe, die nicht problematisiert, sondern in ihrer ungebrochenen Schönheit präsentiert werden. Das ist durchweg sehr ästhetisch und anfangs auch sehr anregend, verliert aber durch die Stagnation, Repetitionen und teils lückenhafte Energie des Abends im weiteren Verlauf zunehmend an Spannung.

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