Nach einer durchfeierten Nacht kann der morgendliche Blick in den Spiegel manchmal heftige Gefühle bis gar hin zum Würgereiz auslösen. Wie würden die Reaktionen erst ausfallen, wenn man aufwacht und sich selbst neben sich liegen hat? Mit seiner Soloproduktion „After The Party“ choreografierte der in Spanien lebende Thomas Noone einen Mann, der nach unzähligen (Party-)Gesprächen ermattet auf einem Stuhl zusammenbricht.
Auf der fokussiert beleuchteten Bühne des Regensburger Velodroms erhebt er sich peu á peu aus seiner kauernden Stellung. Und mit ihm sein Alter Ego, eine lebensgroße Puppe mit seinen Gesichtszügen und nacktem Oberkörper. Verdutzt schaut er sie, sie ihn an. Sie bewegt die Arme, tastet über seinen Körper, öffnet den Mund, sagt etwas. Es beginnt ein unhörbarer Dialog, der sich fortsetzt in reduziertem Tanz, starker Gestik und ungläubigen Blicken aus den großen runden Augen ins Publikum. Noone schafft es in kurzer Zeit, die Aufmerksamkeit ganz auf sein Alter Ego zu ziehen.
Zeitweise dominiert diese fantastische Figur die körperhafte Auseinandersetzung mit dem Tänzer, sitzt ihm regelrecht im Nacken und auf der Brust. Ein absurdes, komisches, dabei außerordentlich intensives Spiel zwischen tänzerischer Dynamik und latenter Erschöpfung, bis der Gummi-Noone am Ende wieder zerknautscht verschwindet. Es ist einer der packendsten Eindrücke der an starken Auftritten keineswegs armen 18. Internationalen AidsTanzGala.
Den Beginn machen die weiß gepuderten und geschminkten Rei Okunishi und Filippo Buonamassa mit einem kleinen Vorabhäppchen aus Georg Reischls neuer Choreografie „Mozart, Mozart“. Premiere ist im kommenden Frühjahr (5. März). Mit puppenartigen Bewegungen macht das Duo darauf richtig Appetit.
Visuell ähnlich spektakulär wie Noone wirkt das bewegende Solo von Pablo Navarro Muñoz, welches er mit bloßem Oberkörper und zwei silbrigen Röhren tanzt. Wie eine Ziehharmonika lassen sich diese weit auseinanderziehen, drohen den Tänzer zu verschlingen, wie die Schlangen den Laokoon in der berühmten Figurengruppe. Unterlegt von Musik Mozarts zeigt Muñoz mit seiner hochdramatischen tänzerischen Auseinandersetzung einen Ausschnitt aus Guiseppe Spotas Choreografie „Requiem“, die ebenfalls erst im neuen Jahr in Gelsenkirchen mit seiner MIR Dance Company uraufgeführt wird.
Eindrucksvoll und voller Leidenschaft das Duett „Two And Only“. Choreografin Wubkje Kuindersma hat es dem jungen Tänzer Timothy von Poucke und Jozef Varga praktisch auf den Leib geschrieben. Die beiden großartigen Tänzer des Dutch National Ballett interpretieren die Einzigartigkeit einer Beziehung zu maskulinem Countryfolk, dass einem der Atem stocken kann. Sich gegenseitig aufzufangen und voreinander zu drücken, lassen sie mit gleicher Perfektion und dynamischen Hingabe erspüren.
Durch ein zwingendes „Look at me!“, unterlegt von einer stark perkussiven Musik, lenken drei anfänglich verschleierte Tänzerinnen der Dance Company Theaterhaus Stuttgart in „Mires“ die Aufmerksamkeit auf das Phänomen Zeit. Sidney Elizabeth Turtschi, Barbara Melo Freire und Louiza Avraam verkörpern mit uhrzeigerartigen Armbewegungen Schicksalsgöttinnen, Nornen wie sie in der nordischen Mythologie heißen, hinreißend getanzte Dreifaltigkeit. Die sehr prägnante, teils scheinbar im repetitiven Minimalismus erstarrte Musik ist vermutlich speziell für das Tanzstück „Mires“ geschrieben und verlieh dem mitreißenden Tanz zusätzlich eine motorische Magie.
Aus eigenen Mitteln finanziert, raste die freie Gruppe Human Fields aus Berlin mit ihrer Choreografie „Place To Be“ in den Corona-Lockdown. Dennoch präsentieren Dor Mamlia und Dariusz Sewery Nowak zusammen mit Jin Young Won ihr sehr dynamisches Tanzstück um den Wandel als einzige wirkliche Konstante des modernen Lebens, wie alle beteiligten Künstler*innen und Gruppen unentgeltlich bei der Tanzgala. Zwischen teilnehmender Beobachtung, Ruhe und wirbelnden Körpern bleibt nichts wie es ist – auch wenn es schmerzt, trennt oder zusammenbringt.
„Tué“ ist eine abstrakt wirkende Choreografie, die Marco Goecke vom Ballett der Staatsoper Hannover mit Musik der französischen Sängerin Barbara geschaffen hat. Mit flatternden Händen feiert Giada Zanotto damit eine Preisverleihung an Prinzessin Caroline von Monaco. Den Abschluss des ungemein spannenden und vielseitigen Abends macht noch einmal das Regensburger Ensemble mit einem Ausschnitt aus der gemeinsamen sozialen Choreografie „Summertime“, einer realitätsnahen Freiluftproduktion vom letzten Sommer, die sich offensiv mit dem Thema Nähe und Berührung auseinandersetzt.
Ein großartiger, ungemein abwechslungsreicher Abend, der Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer als Schirmherrin fast der Sprache beraubte, weil sie kaum Worte fand, um ihre Faszination auszudrücken. Zusammen mit dem wortgewandten Moderator Peter Jungblut vom Bayerischen Rundfunk dankte sie den Sponsor*innen, die seit Jahren viel dazu beitragen, dass die Benefizveranstaltung erfolgreich Mittel für die Aids-Hilfe einfährt. Seit 2003 sind dabei fast 270.000 Euro zusammengekommen. Abwechselnd werden damit das C.A.R.E.-Health-Center im südindischen Namakkal und ein Aids-Projekt in Südafrika sowie mit einem kleinen Teil jährlich der Nothilfefonds der Aids-Beratungsstelle Oberpfalz gefördert. Das diesjährige Ergebnis wird noch bekannt gegeben.
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