Ricardo Fernando
Ricardo Fernando

In der Virtual Reality angekommen

Ricardo Fernando, Ballettdirektor und Chefchoreograf am Staatstheater Augsburg

Access to Dance, das Tanzportal für Bayern, befragt Choreograf*innen in Bayern zu ihrer Arbeit während der Pandemie. Ricardo Fernando entwickelt neue Formate in der Virtual Reality und wünscht sich dabei nichts mehr zurück als die alte Normalität – ein Ende des Nervenkriegs.

Augsburg, 30/01/2021
Herr Fernando, Ihre letzte Produktion "Winterreise" wurde Ende Oktober noch als Stream uraufgeführt. Schubert erzählt in seinem Liederzyklus auf eindringliche Weise vom einsamen Wanderer. Inwieweit haben die äußeren Umstände der Pandemie Ihr kreatives Schaffen beeinflusst?

Die Pandemie hatte einen wesentlichen Einfluss auf den gesamten kreativen Prozess. Das Social Distancing war dabei natürlich das größte Problem, da wir nicht in Gruppen arbeiten konnten. Das Ballett des Staatstheaters Augsburg hat 18 Tänzer*innen, 9 Frauen und 9 Männer. Wir konnten für „Winterreise“ eine Abmachung mit dem örtlichen Gesundheitsamt treffen, dass manche Tänzer als feste Paare miteinander tanzen durften. So konnten wir zumindest ein paar Pas de Deux zeigen – und nicht das gesamte Stück über ausschließlich Solo-Nummern.

Inwiefern stellt die Pandemie Sie in Ihrer Kunstform Tanz vor Herausforderungen? Mit welchen Problemen kämpfen Sie?

Tanz ist eine Kunst, die vom Kontakt lebt. Das ist in meinen Augen das Hauptproblem. Das Social Distancing, die Aerosol-Messungen, das Tragen von Masken und die vielen Pausen während der Proben schmälern die Atmosphäre unserer Arbeit ganz entscheidend. Nicht zu vergessen, dass man entscheiden muss, ob und wie oft man Tests durchführt. Wir lassen uns alle jede Woche auf Corona testen, auch das ist eine Herausforderung.

Setzen die variierenden Restriktionen – Kontaktbeschränkungen, angepasste Trainings- und Probensituationen – auch künstlerische Impulse frei oder dienen sogar als Inspiration?

Ich würde sagen, zu Beginn der Pandemie, und als es mit den Einschränkungen gerade erst los ging, war es wirklich inspirierend zu sehen, wie kreativ wir auf all‘ unsere Probleme Lösungen fanden. Aber nach einer Weile wurde es zu einem großen Nervenkrieg für die meisten von uns in der Tanzwelt. Wir haben so unterschiedliche Häuser, einige sind sehr klein, andere verfügen über große Studios und Bühnen. Und so können wir keine gemeinsame Lösung finden, was unser aller Leben sehr kompliziert macht. Im Moment habe ich nicht mehr das Gefühl, dass das in irgendeiner Hinsicht inspirierend sein könnte.

Haben Sie neue künstlerische Formate entwickelt, die sonst nicht entstanden wären?

Ja, wir haben zwei verschiedene Produktionen für Virtual Reality entwickelt. Für die erste, „shifting_perspective“, wurden die Tänzer*innen in Soli und Duetten von einer 360-Grad-Kamera auf der Bühne gefilmt – mit großartigen Ergebnissen! Danach haben wir einen 3D-VR-Film mit meiner Choreografie von Ravels „Boléro“ aufgenommen. Beide Stücke kann man sich für Zuhause auf Leih-VR-Brillen über das Staatstheater Augsburg bestellen.

Welche künstlerische Anpassung werden Sie auch nach der Pandemie beibehalten?

Ehrlich gesagt, würde ich mir wünschen, dass wir einfach wieder zu unserer alten Normalität zurückkehren könnten. Was könnten wir denn von den aktuellen Einschränkungen an Positivem übernehmen? Training und Proben in getrennten Gruppen? Social Distancing, Maske-Tragen, Aerosol-Überprüfung, regelmäßige Corona-Tests?

Die Tanzwelt lebt derzeit von Live-Streams, Video-Konferenzen, Online-Trainings etc. Wieviel analoge Wirklichkeit braucht der Tanz noch in der Zukunft?

Ich hoffe wirklich, dass der Tanz in Zukunft wieder zu so viel analoger Wirklichkeit wie möglich zurückkehrt. Durch die Reaktionen des Publikums, das derzeit nur online Tanz erleben kann, merke ich ganz klar, dass das nicht die Zukunft sein kann. Es gibt nichts, was sich mit einer Live-Performance vergleichen lässt. Online-Vorstellungen sind ok und natürlich sehr hilfreich in dieser verrückten Zeit. Aber das kann nicht die Zukunft des Tanzes sein – hoffentlich!

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?

Ich vermisse den sozialen Kontakt. Es ist so ein Jammer mit meiner Familie oder unseren Tänzer*innen und unseren Freunden nur online kommunizieren zu können.

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