Ballettfilm als eigenständiges Kunstprojekt
Goyo Montero, Ballettdirektor am Staatstheater Nürnberg
Nürnberg, 26/01/2021
Herr Montero, Ihre Choreografie „Submerge“ wurde 2018 für die Junior Kompanie des Balletts Zürich kreiert und soll Bestandteil der nächsten Premiere werden: Welche Anpassungen hat dieses Werk in dieser speziellen Zeit erfahren?
Meine Choreografie „Submerge“ ist Teil des dreiteiligen Ballettabends „Naharin/Clug/Montero“, den wir pandemiebedingt auf die nächste Spielzeit verschieben mussten.
In der aktuellen Spielzeit ist als unsere nächste Premiere meine Choreografie „Goldberg“ zu den gleichnamigen Variationen von J.S. Bach und einer Neukomposition von Owen Belton geplant.
Auch bei dieser Neukreation müssen wir uns natürlich an den aktuellen Sicherheitsmaßgaben orientieren.
Schon vor dem Sommer 2019 habe ich einzelne Variationen als Soli, Duette bzw. in sehr kleinen Besetzungen choreografiert und dabei u.a. mit Tänzer*innen gearbeitet, die aufgrund bestehender Lebensgemeinschaften mit Kontakt arbeiten durften.
Bei der aktuellen Probenarbeit für „Goldberg“ werden wir darüber hinaus eine Gruppe unserer Tänzer*innen in Kooperation mit einer Partnerklinik regelmäßig testen lassen, um mit größtmöglicher Sicherheit gemeinsam an der Produktion arbeiten zu können.
Inwiefern stellt die Pandemie Sie in Ihrer Kunstform Tanz vor Herausforderungen? Mit welchen Problemen kämpfen Sie?
Der Tanz lebt natürlich wie kaum eine andere Kunstgattung vom unmittelbaren Kontakt. Als außersprachliche Kunst dient der Körper dem Tänzer als Hauptausdrucks- und Verständigungsmittel. Derzeit sehen wir uns in den Möglichkeiten, mit unseren Körpern zu kommunizieren, extrem limitiert und wir alle sehnen uns danach, wieder mit Kontakt arbeiten zu können.
Aufgrund der für die Bayerischen Staatstheater geltenden Verordnungen sowie daraus resultierender notwendiger Kurzarbeit war unser Betrieb in der aktuellen Spielzeit häufig so eingeschränkt, dass wir für die Tänzer*innen lediglich Trainingseinheiten anbieten konnten. Ein regulärer Probenbetrieb war dabei in den letzten Monaten kaum möglich.
Gleichzeitig sind wir als fest engagierte Kompanie an einem staatlichen Haus sehr privilegiert, gemessen an den elementaren Sorgen vieler freischaffender Künstler. Unsere Herausforderung in Pandemiezeiten ist es, und das versuche ich auch den Tänzer*innen zu vermitteln, uns motiviert zu halten, auch wenn wir nicht, wie bislang gewohnt, auf verbindliche Premierendaten zugehen.
Wir können uns dennoch weiterentwickeln und neue Wege finden – mental wie physisch gleichermaßen – um produktiv, beweglich und informiert zu bleiben. So dass wir, wenn es wieder losgeht, gut vorbereitet und fit „für die Bühne“ sind.
Setzen die variierenden Restriktionen – Kontaktbeschränkungen, angepasste Trainings- und Probensituationen – auch künstlerische Impulse frei oder dienen sogar als Inspiration?
Tatsächlich ist die Idee zu meinem Tanzstück «Über den Wolf» in den ersten Monaten des Lockdowns entstanden. Ich hatte eigentlich eine komplett andere Spielzeit für unsere Kompanie geplant. Als jedoch deutlich wurde, dass diese Planung nicht umsetzbar sein wird, haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die aktuelle Situation reflektieren können. Die zentralen Aspekte von Isolation und Angst vor dem Unbekannten wurden zum allgegenwärtigen Thema. Meine Gedanken kreisten schon lange um eine eigene Version von Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“. Seit frühester Kindheit begleitet mich dieses Werk. Schon damals dachte ich, dieses Stück könnte neben der Thematik des musikalischen Kindermärchens eine andere, psychologischere Seite haben. Eines der Hauptthemen darin ist die Bedrohung, die von außen kommt. Das war dann mein Anknüpfungspunkt und meine Inspirationsquelle für dieses Stück.
Haben Sie neue künstlerische Formate entwickelt, die sonst nicht entstanden wären?
In Folge der aktuellen Umstände haben wir „Über den Wolf“, eine Produktion, die zunächst als Live-Bühnenversion gedacht war, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Fernsehen als Ballettfilm realisieren können. Daraus hat sich ein eigenständiges Kunstprojekt entwickelt, das durch die Mittel und Möglichkeiten des Films die Choreografie erweitert und bereichert hat. Dies war eine sehr fruchtbare Kooperation und vor allem eine wirklich spartenübergreifende Produktion, dank der Mitwirkung von Kammerschauspieler Thomas Nunner und den Musikern unserer Staatsphilharmonie, wobei die Krise sich wirklich einmal als Chance erwies.
Welche künstlerische Anpassung werden Sie auch nach der Pandemie beibehalten?
Auch für unseren Arbeitsalltag ist es eine Entlastung, Meetings in den digitalen Raum verlegen zu können. Für meine Arbeit als Choreograf empfinde ich digitale Mittel allerdings als nicht sehr produktiv. Denn für mich lebt Choreografie von der unmittelbaren Verbindung und der gleichzeitigen Präsenz von Choreograf und Tänzer*innen im Studio. Diese unmittelbare Gegenwart ist durch nichts wirklich zu ersetzen.
Was mir persönlich nach der Pandemie in Erinnerung und im Bewusstsein bleiben wird, ist die Wertschätzung dessen, was wir jetzt entbehren müssen. Vergleichbar ist dies vielleicht mit der Wahrnehmung eines Körperteils, z.B. eines Armes, den man nicht benutzen konnte, weil er zeitweise abgebunden war. Wenn man ihn später wieder ungehindert einsetzen kann, empfindet man tiefe Wertschätzung für dieses wichtige Lebensinstrument. So etwa stelle ich mir das Gefühl vor, wenn wir nach der Pandemie wieder ungehindert unserer Berufung nachgehen dürfen.
Die Tanzwelt lebt derzeit von Live-Streams, Video-Konferenzen, Online-Trainings etc. Wieviel analoge Wirklichkeit braucht der Tanz noch in der Zukunft?
Für mich persönlich lebt der Tanz vom direkten Dialog mit unserem Publikum. Der Live-Charakter ist und bleibt der eigentliche Zauber und das Alleinstellungsmerkmal der darstellenden Künste. Dass sich mehrere Mitwirkende (und dazu zähle ich natürlich auch die Zuschauer*innen) an einem ganz bestimmten Ort und zu einer ganz bestimmten Zeit zusammenfinden, um ein (Kunst)Ereignis zu teilen, das unwiederbringlich und nicht reproduzierbar ist – das ist doch der Kern unserer Arbeit.
Zugleich hat die Digitialisierung natürlich durch die Pandemie nochmals einen starken Vorschub erhalten und ist eine unumkehrbare Notwendigkeit. Auch im Kulturbereich werden wir künftig also in beiden Welten zugleich zuhause sein. Wie für das Kino bereits der Fall, werden parallele Premieren als Live-Bühnenversionen und Digitale Produktionen unsere Reichweiten entscheidend vergrößern und somit zur besseren überregionalen Sichtbarkeit gerade von Tanzproduktionen beitragen können.
Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?
Einerseits bin ich dankbar dafür, dass die Pandemie mir so viel Zeit mit meiner Familie ermöglicht hat, die ich normalerweise so nur im Urlaub hätte. Zugleich wird natürlich jegliche Zukunftsplanung schwierig und dieser fortgesetzte Wartezustand, in dem wir uns derzeit alle befinden, hat etwas sehr Erschöpfendes. Denn wir alle wünschen uns doch Resultate, ein sichtbares Ergebnis für unsere Tätigkeit – und dies ist nun stetig aufgeschoben. Als jemand, der ständig auf konkrete berufliche Ziele hinarbeitet, war diese forcierte Verlangsamung bis hin zum völligen Stillstand für mich auch eine enorme Prüfung. Positiv betrachtet ist die Pandemie aber ein großes Lehrmittel, sie fördert die Reflexion und kann uns Demut und Geduld lehren – insofern können wir in unserer Persönlichkeitsentwicklung auch von dieser Situation profitieren!
Ballettfilm Über den Wolf
Videos aus der Serie „Building Goldberg“
Meine Choreografie „Submerge“ ist Teil des dreiteiligen Ballettabends „Naharin/Clug/Montero“, den wir pandemiebedingt auf die nächste Spielzeit verschieben mussten.
In der aktuellen Spielzeit ist als unsere nächste Premiere meine Choreografie „Goldberg“ zu den gleichnamigen Variationen von J.S. Bach und einer Neukomposition von Owen Belton geplant.
Auch bei dieser Neukreation müssen wir uns natürlich an den aktuellen Sicherheitsmaßgaben orientieren.
Schon vor dem Sommer 2019 habe ich einzelne Variationen als Soli, Duette bzw. in sehr kleinen Besetzungen choreografiert und dabei u.a. mit Tänzer*innen gearbeitet, die aufgrund bestehender Lebensgemeinschaften mit Kontakt arbeiten durften.
Bei der aktuellen Probenarbeit für „Goldberg“ werden wir darüber hinaus eine Gruppe unserer Tänzer*innen in Kooperation mit einer Partnerklinik regelmäßig testen lassen, um mit größtmöglicher Sicherheit gemeinsam an der Produktion arbeiten zu können.
Inwiefern stellt die Pandemie Sie in Ihrer Kunstform Tanz vor Herausforderungen? Mit welchen Problemen kämpfen Sie?
Der Tanz lebt natürlich wie kaum eine andere Kunstgattung vom unmittelbaren Kontakt. Als außersprachliche Kunst dient der Körper dem Tänzer als Hauptausdrucks- und Verständigungsmittel. Derzeit sehen wir uns in den Möglichkeiten, mit unseren Körpern zu kommunizieren, extrem limitiert und wir alle sehnen uns danach, wieder mit Kontakt arbeiten zu können.
Aufgrund der für die Bayerischen Staatstheater geltenden Verordnungen sowie daraus resultierender notwendiger Kurzarbeit war unser Betrieb in der aktuellen Spielzeit häufig so eingeschränkt, dass wir für die Tänzer*innen lediglich Trainingseinheiten anbieten konnten. Ein regulärer Probenbetrieb war dabei in den letzten Monaten kaum möglich.
Gleichzeitig sind wir als fest engagierte Kompanie an einem staatlichen Haus sehr privilegiert, gemessen an den elementaren Sorgen vieler freischaffender Künstler. Unsere Herausforderung in Pandemiezeiten ist es, und das versuche ich auch den Tänzer*innen zu vermitteln, uns motiviert zu halten, auch wenn wir nicht, wie bislang gewohnt, auf verbindliche Premierendaten zugehen.
Wir können uns dennoch weiterentwickeln und neue Wege finden – mental wie physisch gleichermaßen – um produktiv, beweglich und informiert zu bleiben. So dass wir, wenn es wieder losgeht, gut vorbereitet und fit „für die Bühne“ sind.
Setzen die variierenden Restriktionen – Kontaktbeschränkungen, angepasste Trainings- und Probensituationen – auch künstlerische Impulse frei oder dienen sogar als Inspiration?
Tatsächlich ist die Idee zu meinem Tanzstück «Über den Wolf» in den ersten Monaten des Lockdowns entstanden. Ich hatte eigentlich eine komplett andere Spielzeit für unsere Kompanie geplant. Als jedoch deutlich wurde, dass diese Planung nicht umsetzbar sein wird, haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die aktuelle Situation reflektieren können. Die zentralen Aspekte von Isolation und Angst vor dem Unbekannten wurden zum allgegenwärtigen Thema. Meine Gedanken kreisten schon lange um eine eigene Version von Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“. Seit frühester Kindheit begleitet mich dieses Werk. Schon damals dachte ich, dieses Stück könnte neben der Thematik des musikalischen Kindermärchens eine andere, psychologischere Seite haben. Eines der Hauptthemen darin ist die Bedrohung, die von außen kommt. Das war dann mein Anknüpfungspunkt und meine Inspirationsquelle für dieses Stück.
Haben Sie neue künstlerische Formate entwickelt, die sonst nicht entstanden wären?
In Folge der aktuellen Umstände haben wir „Über den Wolf“, eine Produktion, die zunächst als Live-Bühnenversion gedacht war, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Fernsehen als Ballettfilm realisieren können. Daraus hat sich ein eigenständiges Kunstprojekt entwickelt, das durch die Mittel und Möglichkeiten des Films die Choreografie erweitert und bereichert hat. Dies war eine sehr fruchtbare Kooperation und vor allem eine wirklich spartenübergreifende Produktion, dank der Mitwirkung von Kammerschauspieler Thomas Nunner und den Musikern unserer Staatsphilharmonie, wobei die Krise sich wirklich einmal als Chance erwies.
Welche künstlerische Anpassung werden Sie auch nach der Pandemie beibehalten?
Auch für unseren Arbeitsalltag ist es eine Entlastung, Meetings in den digitalen Raum verlegen zu können. Für meine Arbeit als Choreograf empfinde ich digitale Mittel allerdings als nicht sehr produktiv. Denn für mich lebt Choreografie von der unmittelbaren Verbindung und der gleichzeitigen Präsenz von Choreograf und Tänzer*innen im Studio. Diese unmittelbare Gegenwart ist durch nichts wirklich zu ersetzen.
Was mir persönlich nach der Pandemie in Erinnerung und im Bewusstsein bleiben wird, ist die Wertschätzung dessen, was wir jetzt entbehren müssen. Vergleichbar ist dies vielleicht mit der Wahrnehmung eines Körperteils, z.B. eines Armes, den man nicht benutzen konnte, weil er zeitweise abgebunden war. Wenn man ihn später wieder ungehindert einsetzen kann, empfindet man tiefe Wertschätzung für dieses wichtige Lebensinstrument. So etwa stelle ich mir das Gefühl vor, wenn wir nach der Pandemie wieder ungehindert unserer Berufung nachgehen dürfen.
Die Tanzwelt lebt derzeit von Live-Streams, Video-Konferenzen, Online-Trainings etc. Wieviel analoge Wirklichkeit braucht der Tanz noch in der Zukunft?
Für mich persönlich lebt der Tanz vom direkten Dialog mit unserem Publikum. Der Live-Charakter ist und bleibt der eigentliche Zauber und das Alleinstellungsmerkmal der darstellenden Künste. Dass sich mehrere Mitwirkende (und dazu zähle ich natürlich auch die Zuschauer*innen) an einem ganz bestimmten Ort und zu einer ganz bestimmten Zeit zusammenfinden, um ein (Kunst)Ereignis zu teilen, das unwiederbringlich und nicht reproduzierbar ist – das ist doch der Kern unserer Arbeit.
Zugleich hat die Digitialisierung natürlich durch die Pandemie nochmals einen starken Vorschub erhalten und ist eine unumkehrbare Notwendigkeit. Auch im Kulturbereich werden wir künftig also in beiden Welten zugleich zuhause sein. Wie für das Kino bereits der Fall, werden parallele Premieren als Live-Bühnenversionen und Digitale Produktionen unsere Reichweiten entscheidend vergrößern und somit zur besseren überregionalen Sichtbarkeit gerade von Tanzproduktionen beitragen können.
Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?
Einerseits bin ich dankbar dafür, dass die Pandemie mir so viel Zeit mit meiner Familie ermöglicht hat, die ich normalerweise so nur im Urlaub hätte. Zugleich wird natürlich jegliche Zukunftsplanung schwierig und dieser fortgesetzte Wartezustand, in dem wir uns derzeit alle befinden, hat etwas sehr Erschöpfendes. Denn wir alle wünschen uns doch Resultate, ein sichtbares Ergebnis für unsere Tätigkeit – und dies ist nun stetig aufgeschoben. Als jemand, der ständig auf konkrete berufliche Ziele hinarbeitet, war diese forcierte Verlangsamung bis hin zum völligen Stillstand für mich auch eine enorme Prüfung. Positiv betrachtet ist die Pandemie aber ein großes Lehrmittel, sie fördert die Reflexion und kann uns Demut und Geduld lehren – insofern können wir in unserer Persönlichkeitsentwicklung auch von dieser Situation profitieren!
Ballettfilm Über den Wolf
Videos aus der Serie „Building Goldberg“
Kommentare
Noch keine Beiträge
Please login to post comments