„And so you see ... our honourable blue sky and ever enduring sun ... can only be consumed slice by slice ...“ von Robyn Orlin & Albert Khoza

Show eines Bühnentiers

Gastspiel von Robyn Orlin & Albert Khoza in der Münchner Muffathalle

Schon die ellenlangen Stücktitel der südafrikanischen Choreografin stecken voller Geschichten. Mit „And so you see … our honourable blue sky and ever enduring sun ... can only be consumed slice by slice ...“ ist sie Teil der 25 Jahre Muffatwerk-Feier.

München, 19/09/2018

Schon die ellenlangen Stücktitel der südafrikanischen Choreografin Robyn Orlin stecken voller Geschichten. Sie sind harmlos anmutender Aufhänger für provokativ-irritierendes, sozial-politisch unterfüttertes Bewegungstheater. Der Grenzbereich zwischen medial perfekt aufbereiteter Poesie und gezielt schonungsloser Publikumsverunsicherung verschwimmt dabei bestens.

Aus einem entspannten Zurücklehnen bei der Aufführung von „And so you see ... our honourable blue sky and ever enduring sun ... can only be consumed slice by slice ...“ wurde beim Gastspiel in der Muffathalle folglich nichts. Dabei wähnte man sich – klanglich immer wieder von Mozarts vertrautem „Requiem“ umfangen – anfangs noch sicher auf seinem Platz.

Großformatige Fotografien entführen in die fremde Welt sandiger Landschaften und langhorniger Rinder. Dann aber fokussiert sich der Kameramann ganz auf sein Gegenüber: einen verhüllten Haufen Mensch, der in einem Ledersessel flackt. Langsam wird er wie eine Mumie aus einer dicken Tuchschicht gepellt. Darunter kommt der beeindruckende Körper des Solo-Performers Albert Khoza zum Vorschein – für eine höchst sinnliche, sexuell aufgeladene Fressorgie saftiger Orangen ganz in Frischhaltefolie verpackt.

Das riesige Messer, mit dem Orlins grandioser Protagonist sowohl das Obst als auch seinen gierig schlingenden Mund traktiert, sorgt für Schreckmomente. Es fließt aber kein Blut. Das Erwachen der bizarren Kreatur, die sich bald zum unnachgiebigen Beherrscher des Raums mausert, beginnt mit spitzen Lautäußerungen der Wonne. Das Gebimmel einer Kuhglocke treibt dem mächtigen Leib die Regungslosigkeit aus. Gertenschläge und wollüstiges Grunzen, dem später Hundegebell, Katzenmiauen und ein finaler Klagegesang folgen, begleiten einen Akt schamloser Selbstbefriedigung. Am Ende peitscht ein Paradiesvogel mit seiner Federpracht gen Boden. Dass es besser ist, mit seinen Waffen zu tanzen als mit ihnen zu töten – diesen Satz nimmt man mit nach Haus.

Alle Aktionen – perspektivisch brillant gezoomt und auf die Rückwand projiziert – zielen darauf ab, das Publikum durch effektreiche Zurschaustellung bestimmter Laster zum Hinterfragen der Gegenwart beziehungsweise einem Südafrika nach Zeiten der Kolonialisierung und Apartheid zu verführen. Khoza verbreitet Sympathie und Angst. Ein hinreißender Transgendertyp, der auch im richtigen Leben als Schamane unterwegs ist. In vollen Zügen genießt er es, mit seiner überbordenden Sumoringer-Figur regelrecht Hof zu halten. Frech.

Nach wilden Schnitten seinem Folienkokon entschlüpft, zitiert der Südafrikaner – völlig eingesaut – drei Zuschauer höflich-autoritär zu sich. Eine ausgiebige Wellness-Toilette mit Wasserflasche und Lappen steht an. Widerspruch duldet der auf seinem Wohnzimmersessel thronende Darsteller nicht. Quintessenz dieser afrikanisch-europäisch verdrehten Welt: Kapitalismus macht die Menschen schlecht. Als nubische Königin geschminkt und mit opulenten Ringen an jedem Finger tanzt Khoza schließlich mit einer hüftschwingenden Putin-Projektion im Duett. Bis ein Wutausbruch die Szene stoppt. Thematischer Input hin oder her. Es ist Khozas multiple Persönlichkeit und enorme Wandlungsfähigkeit, die die einstündige Performance zum Erlebnis macht.

 

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