Fürs Publikum von heute
Münchner Verein „Fokus Tanz | Tanz und Schule e.V.“ auf deutschlandweitem Erfolgskurs
Vertraut war das Konzept, das dem Projekt „Heinrich tanzt“ pädagogische Effekte zuschreibt, die vor allem in der gründlichen Sensibilisierung der mitwirkenden SchülerInnen liegen. Schon 2003 hatten die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mit über 240 jungen BerlinerInnen, Einwanderer- und Flüchtlingskindern aufgeführt, die der Choreograf und Tanzpädagoge Royston Maldoom anleitete. Inspiriert von diesem Projekt, dessen Entstehung und Ergebnis dank des Films „Rhythm is it“ große Aufmerksamkeit weckte, hatte Bettina Wagner-Bergelt „Anna tanzt“ am Anna-Gymnasium initiiert, dessen Nachfolgeprojekt am ebenfalls städtischen Heinrich-Heine-Gymnasium sie gemeinsam mit Simone Schulte-Aladag (Tanz und Schule e. V.) realisierte. Vertraut war auch die Muffathalle als flexibler Aufführungsort, neu aber, dass nicht mehr in den Räumen des Staatsballetts, sondern denen von Iwanson geprobt wurde. Neu war auch die Idee der musikalischen Leiterin, Laura Konjetzky, eigens eine Musik aus Sounds von Apps zu komponieren, die ein 12-köpfiges iPad-Orchester unter ihrer Leitung live spielte.
Über die mit SchülerInnen voll besetzte, steile Zuschauertribüne legte sich geradezu hörbare Ruhe, das An- und Abschwellen einfacher Percussion-Klänge stärkte die Konzentration. Mit dem Ertönen elektronischer Klänge füllen etwa 120 SchülerInnen die Bühne. Lange Reihen sitzen am rechten und linken Bühnenrand oder vorn. Im Zentrum stehen sich vielleicht ein Dutzend Paare gegenüber. Ein Partner gibt einen Impuls, der andere setzt ihn in Bewegung fort. Als Mauern behindern jeweils fünf einen Einzelnen, der sich mal mit, mal ohne Erfolg seinen Durchlass verschafft. Ein Mädchen wird in ihre Bella Figura gestellt. Sie und eine Zweite im Schatten werden umkreist, wie von Fußvolk. In diesem entstehen Aggression und tänzerisch angedeutete Kämpfe. Dann bilden 30 Jungen und Mädchen fünf Reihen. Auch in ihren Bewegungssequenzen bleibt die Struktur der Formation klar. Man merkt, dass die Förderung von Raumgefühl und Sensibilität für die Nebenleute auf die Gruppe positiv wirkt. Ihr Impulsgeber wird abgelöst von einem boxenden Vorkämpfer, dem sich bald alle anschließen. Sieger schreiten über liegende Körper. Andere werden aktiv, rollen bei erneuter Rhythmussteigerung einen roten Teppich zum diagonalen Laufsteg. Von den darauf stolzierenden Models bleiben nur die High Heels zurück, und zu Orgeltönen breitet sich Nachdenklichkeit aus.
So geht es weiter, mit immer wechselnden Gruppen und Szenen, die Assoziationen freisetzen: zum Beispiel an die verbreitete Kritiklosigkeit dagegen, wie manche es ‚machen‘, dass sie über andere ‚Macht‘ haben. Auf diese Reverenz an das zweideutige „Macht!“ folgt anerkennendes Staunen, wie die SchülerInnen es schaffen, bei ihren Tempoläufen in zwei diagonalen Reihen nicht in der Mitte zusammenzustoßen, denn die Lücken zwischen ihnen waren klein und ihr Tempo blieb hoch. Sie konnten wohl fest mit der Aufmerksamkeit aller anderen rechnen. Nur muss man sagen, zumal schon wieder Kampfszenen folgten, dass emotionale Spannungsbögen klein blieben und der Sound etwas eintönig war. Aber es gab auch Tanztheatersequenzen feinerer Art, mal von einer Einzelnen, mal von einem Trio dirigiert, oder ein schönes Duett, das aus dem Tanz von sieben Paaren hervorging, und dann – doch wieder Gruppen, die kämpften. Aber dabei zeigte die große Zahl der Beteiligten klar: Tanz diszipliniert und tut discipulis gut! Deshalb erzielten die TänzerInnen, mehr durch Stimmigkeit ihrer Formationen als einzeln, gute Wirkung. Was gab es noch? Das Sich-Fallen-Lassen in die Arme der anderen verlangt Vertrauen, das nur durch deren Zuverlässigkeit gerechtfertigt wird. Solche Erfahrungen macht man beim Einsatz des Körpers stärker als mit dem Einsatz von Worten. Dank solcher Aspekte haben die Choreografen Marcelo Omine, Annerose Schmidt, Volker Michl, Barbara Galli und Stefanie Schwimmbeck in der Dramaturgie von Beate Höhn 120 SchülerInnen und ihrem Publikum mit „Heinrich tanzt“ etwas Wertvolles vermittelt, was in ihrem Bewusstsein wohl bleibt.
Aus einer Kiste mit Requisiten holten 15 Mädchen Kleidungsstücke, die sie wie Models präsentierten. Ein Junge nahm einem Mädchen dessen rote Jacke weg, die anderen begannen ihn zu bewundern, hoben ihn über sich selbst, begannen mit ihm zu fliegen. Es kam zu einem synchronen Unisono, und alle 120 Mitwirkenden liefen im Kreis zur finalen Gesamtformation. Beim Applaus sagte meine Nachbarin, eine hellwache Siebtklässlerin, die nächstes Jahr dabei wäre: „Schade, dass dies das letzte Mal war!“ Hoffentlich finden Simone Schulte-Aladag und all ihre Kooperationspartner ein neues Format zur Fortsetzung dieses schönen Projekts!
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