„Silent Protest“ von Zdenek Mladek. Tanz: Ensemble.

„Silent Protest“ von Zdenek Mladek. Tanz: Ensemble.

Die Welt zu Gast in München

Eine wunderbare Gala der Munich International Ballet School

Eine beglückende Gala, die mit erstaunlich vielen Stars so klug zusammengestellt war, dass sie einer privaten Ballettschule großen Respekt einbringen muss.

München, 27/04/2017

Nach einem Ballettschulwettbewerb am Sonntagmorgen, vor der mit Steffi Scherzer, Nadja Deferm, Lukas Slavický und Marijin Rademaker hochkarätigen Jury, durften drei Gewinner am Abend der Stars mittanzen. In der Kategorie Gruppenchoreografie stimmten sechs Mädchen der Munich International Ballet School (MIBS) mit von Paul Julius choreografierten schnellen Staffelungen in Kreisen und Reihen die Zuschauer gut ein, denn sie tanzten mit diszipliniert einstudierter Geschlossenheit, wobei an Armen und Beinen unterschiedlich lange Trikots den Eindruck einer vielgliedrigen Ästhetik stärkten. In ihrer „Dornröschen“-Variation gefiel Yume Okano, auch von der MIBS, mit schönen Port de bras, guten Ecartés und sicheren Balancen, und in einer modernen Version des „Sterbenden Schwans“ zeigte Cara Verschraegen von der Royal Ballet School Antwerpen sowohl Dynamik als auch dem Ausdruck dienende Dehnung.

Professionelle Präsenz präsentierten Kristina Lind und Clemens Fröhlich vom Dutch National Ballet in der melancholischen Liebeshandlung des „Frayed"-Pas de deux von Myles Thatcher. Jeder für sich elegant, ein traumhaftes Paar, doch: Das waren sie einmal, denn Kristina Lind wechselte am nächsten Tag als neue Solistin ans Bayerische Staatsballett (BSB), was für uns Vorfreude bedeutet. Lukas Slavický brachte vom South Bohemian Theatre, dessen Ballett er leitet, ein Trio von Zdenek Mladek zu Musik von Philipp Glass mit: „Silent Protest“. Die motivstarke Andeutung der Öffnung eines Brustkorbs durch zwei geisterhafte Verfolger verdankt vieles der Contact-Improvisation, ist von Counter-Balances geprägt und entwickelte aus hoher Sensibilität teils hohe Dynamik, teils magische Langsamkeit. Ebenfalls aus Tschechien kamen die Dakkadancers Ondrej Vinklát und Stepán Pechar mit ihrem selbst geschaffenen, sehr athletischen „Delicate Arrival“. Für ihre bannende Paarspannung bei wechselnder Hierarchie und dafür, wie ihre Energie, körperlich sichtbar oder als gedankliche Reaktion, von einem auf den anderen überging, ernteten sie einen Beifallssturm. Dann zelebrierten Mamona Sakakibara von der MIBS und Nikita Kirbitov vom Bayerischen Staatsballett (BSB) in Petipas „Satanella“-Pas de deux einen Vorausblick auf klassische Virtuosität, die noch zu höchsten Ehren kommen sollte.

Im sehr modernen „Moods“ von Paul Julius überraschte Mai Kono vom BSB, als sie sich zu irisierenden Klangschleifen von Max Richter weit von der Klassik weg wagte: selbstbewusst, weiblich stark und individualistisch, eine Freude, sie so zu sehen! Dann der Balkon-Pas de deux aus „Romeo und Julia“ in Mikhail Lawrowskis Version: Katharina Markowskaya und Maxim Chashchegorov machten wie aus dem Nichts die Majestät des größten Liebesdramas spürbar, einander vertraut, in jugendlicher Anschmiegsamkeit jeder ein eigenständiger Interpret. Dies waren Momente emotionaler Stimmigkeit als wunderbare Reminiszenz an den Charme der Liška-Ära! Lyrisch, melancholisch und kraftvoll mit samtweichen Landungen zur schwebenden Entrückung der Waldszene in „Giselle“ tanzte Alexandr Trush vom Hamburg Ballett an der Seite der zauberhaft-elegischen Natasha Kush, beide mit virtuosen Battements in ihrer melancholischen Nähe als Paar vom ersten Augenblick an das ganze Stück vergegenwärtigend!

Wie ein Fanfarenstoß zur zweiten Hälfte: der „Le Corsaire“-Pas de deux mit Denys Cherevychko und Isabella Lucia Severt vom Wiener Staatsballett. Er triumphierte mit begeisternder Virtuosität und ansteckender Spielfreude über die Beengtheit durch die Bühne des Carl-Orff-Saales. Sie überzeugte mit ihren italienischen Fouettés und durchgängiger Grandezza. Irritationen über die dennoch bestehende Ungleichheit des Paares beseitigte Kumiko Noshiro, als Gründerin und Leiterin der MIBS zugleich die Veranstalterin dieser Gala: „Isabella ist 16 Jahre alt.“ Ihre ehemalige Schülerin sei nach ihrem Abschluss an der Wiener Ballettakademie gleich in die Junior Kompanie und im April 2017 in das Corps de Ballet des Wiener Staatsballetts aufgenommen worden, zu dessen Stars auch ihr Partner zählt. Damit bestätigte Kumiko Noshiro die Aussage des charmanten Moderators Erich Payer, sie binde TänzerInnen nicht an ihre Schule, sondern helfe ihnen auch beim Weg an Staatliche Ballettakademien.

Mit Moeka Yugawa tanzte eine weitere MIBS-Studentin mit einem Profi, Francesco Amarumna vom Gärtnerplatztheater. Der „Carmella“-Pas de deux zeigte dieses Paar im Ritual des spanischen Machismo. Sie tanzte kräftig dagegen an und triumphierte mit ihrer Leidenschaft über ihn, bis sich eine vorläufige Harmonie ergab. Dabei bewies Maged Mohamed, seit 2015 freier Choreograf, erneut seine Qualität in der Umsetzung von Musik in atmosphärisch starke Welten. Mit ihrem zweiten Stück ließen die Dakkadancers nicht nur darüber staunen, wie sie im Höllentempo ihres „Right on Time“ so exakt synchron blieben. Das sympathische Duo ließ auch offen: Sind sie Freunde, Brüder, Liebhaber? Welche Beziehung ist das und ist sie real? In „Voices“ von Ricardo Fernandez tanzten Eunji Yang und Nikolaos Doede vom Ballett-Theater-Hagen einen energieaufgeladenen Dialog, den das Klanggewölbe der Musik von Pust sphärisch überhöhte, mit hoher Spannung sehr musikalisch. Danach beeindruckten Katharina Markowskaya und Maxim Cashchegorov zum zweiten Mal, jetzt in David Russos zeitgenössischem Idiom von „Bittersweet Carousel“. Er ließ seine verspielte Partnerin in langen Spiralhebungen fliegen und verdeutlichte mit ihr die Gefährdungen einer Paarbeziehung in moderner Kälte, jeder dem Partner ebenbürtig, auch in den pointiert exponierten nachdenklichen Stellen faszinierend fließend.

Zuletzt tanzten Lucia Lacarra und Marlon Dino den Pas de deux „Light Rain“ von Gerald Arpino. Man sah den größten Verlust am Münchner Tanzhimmel als Bewegungswunder präsentiert, doch so, dass es nicht um das Wunder ihrer Bewegung und unglaublichen Extensionen, sondern um die lückenlose Präsenz des künstlerischen Bewusstseins ging. Die Wiedergabe des musikalischen Gehalts – dieses Mal der orientalischen Klänge von Doug Adams – sowie um die Skulpturalität des Tanzes wurde bei ihnen sichtbar. Verspielt ironisch und mimisch expressiv mit häufigem, lächelnden Blickkontakt boten beide in Bestform, was sie als Paar immer auszeichnete, mit Lacarras schön hochweisenden Händen als humorvollem Tupfer am Schluss der Bewegung. So endete eine beglückende Gala, die mit erstaunlich vielen Stars so klug zusammengestellt war, dass sie einer privaten Ballettschule großen Respekt einbringen muss.

(Co-Autorin: Lena Schiller)

 

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