Mächtig stolz
„Rausch“ von Annerose Schmidt und Chris Hohenester im Rahmen vom „Theaterlabor Tanz Junges Resi“ des Münchner Residenztheaters
Zehn Münchner Jugendliche sind mächtig stolz: Mit ihrem Stück „Rausch“, das sie im „Theaterlabor Tanz Junges Resi“ des Münchner Residenztheaters erarbeitet haben, treten sie am kommenden Wochenende beim zweiten Tanztreffen der Jugend (25.9. - 2.10.) im Haus der Berliner Festspiele auf. Hochgefühl verständlich: Immerhin hatten sich an dem bundesweit ausgeschriebenen Berliner Wettbewerb 68 Gruppen beteiligt. Warum die Truppe des Jungen Resi zu den – lediglich! - sieben von fachkundiger Jury erwählten Gruppen gehört, konnte man vorab im Marstall überprüfen.
Gedankliches Sprungbrett war zunächst Intendant Martin Kusejs „Faust“-Inszenierung. Klug reduzierten Choreografin Annerose Schmidt und Schauspielerin Chris Hohenester – beide Jugendtanz-erprobt und seit 2011 aktiv fürs „Theaterlabor Tanz“ – auf den Menschen Faust, der durch rauschhafte Erlebnisse und Situationen das Leben, seinen Körper intensiv spüren will. Was man dann auf der Bühne sah, verriet eindringlich, wie die beiden Tanz-Theater-Profis über Begriffe wie Rauschzustand, physische Entäußerung, Trance ihr junges Laien-Ensemble zu freien Assoziationen hinführten. Am Anfang ein sehr schönes Solo, bei dem die Tänzerin, sich sparsam wiegend, bei hoch über dem Kopf tanzenden Armen ihre Hände zart aneinander reibt – ein sinnliches „Hautfühlen“. Dieses Hände-Motiv wird von anderen – Abschauen, Übernehmen ist ausdrücklich erlaubt – in variierter Form wieder aufgenommen. Hier sind zehn junge Menschen sichtbar als vertraute Gemeinschaft am Werk. Spielerisch, ohne Zeit- und Konkurrenzdruck. Alle sind hier gleich, ob schon Fast-Profi, wie der Nigerianer Benjamin Roberts, erfahren in Hiphop und Freestyle, oder der 12jährige blitzgescheite Laszlo Herzfeld. „Ich hatte erst Angst“, sagt er später im Gespräch. „Aber dann habe ich nie etwas künstlich oder peinlich gefunden. Und dass man zu einem Wort Bewegungen findet, dass es so viele Möglichkeiten gibt, das finde ich toll.“
Von diesem durch die beiden Profi-Coachs vermittelten offenen, toleranten Tanzverständnis, auch von dem schon erwähnten Gemeinschaftsgefühl her erklärt sich letztlich, wie die in drei Monaten entstandenen Bewegungsmosaiken und Sprechszenen sich organisch zu einem Stück gerundet haben. Das gleitet wie selbstverständlich von dem Auftakt-Solo zu Lauf-Duetten zwischen Sich-Fallenlassen und Partner-Auffangen, wechselt zu ekstatisch den Körper durchschüttelnder Aktion, zu Derwisch-Kreiseln und Disco-Ausflippen und zum vergessenden Rausch-Schlaf am Boden. Hohenester und Schmidt, letztere geprägt auch durch VA Wölfls global-künstlerischen Stil, lassen den jungen tanzinteressierten Menschen bewusst viel Freiheit. Scheitern dürfe sein, sagen sie. Es gehe nicht um ein bestimmtes Ergebnis, sondern darum, seine Grenzen auszuloten. Und eine Tänzerin aus der Runde bringt es auf den Punkt: „Wir haben unser innerstes Ich rausgekrempelt.“ Wenn das nicht hilft, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln!
Für diese Überwindung, für die Arbeit an sich selbst, wartet als Belohnung in Berlin ein breites Workshop-Angebot zur Weiterbildung. Zu hoffen ist, das diese Gruppe und alle, die in Zukunft beim „Theaterlabor Tanz“ mitmachen (jeder kann sich bewerben), die ungeheuren Chancen erkennen und schätzen, die sich ihnen hierzulande heute bieten. Ältere Generationen konnten davon nur träumen. Tanzphilosoph Rudolf von Labans Feststellung „Jeder Mensch ist ein Tänzer“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheint endlich wahr zu werden.
Nochmals zu sehen im Rahmen von „Think big!“: 5.10., 18.00 Uhr im Muffatwerk | Zellstraße 4. Ab 12 Jahren.
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