„Das große Danke“
Yuki Mori – große Gefühle beim Abschied
Dumpfe Glockenschläge, eine vorwiegend schwarz-weiße Szenerie wie aus einem Filmstill, das im späten 19. Jahrhundert in einem englischen Herrschaftsambiente spielt, und im Mittelpunkt eine Leiche. Um sie herum stehen erstarrte Bedienstete, eine Frau mit schreckgeweiteten Augen. Langsam kommt Bewegung in die Menschen. Glänzende Lackschuhe streichen in Zeitlupe über den schachbrettartig gemusterten Bühnenboden. Zwei Diener greifen den Toten an den Armen, ziehen ihn tanzend zur flügelartigen Tür in der weißen Kulissenwand, die hinter ihnen zuschlägt. Andere kreisen in einem rasend schnellen Duett um einen langen Tisch. Eine große Puppe im Matrosenaufzug sitzt kalt lächelnd am Boden.
Es ist ein rätselhaftes, ein morbides Bild mit dem Yuki Mori, Regensburgs reger Choreograf, das Publikum im Prolog zu „The House“ konfrontiert. Indizien für eine Tötung? Ein Unglück? Gar ein Ritualmord? Das Licht erlischt. Geräusche, Schritte, leichte klassische Musik setzen ein. Auf der wieder hellen Bühne der – gerade noch tote – Graf. Mit Gewehr und passender Jagdkleidung kehrt er von einer Jagd zurück.
In einer langen Rückblende erzählt Mori mit seinem großartigen zehnköpfigen Ensemble wie es zu dem Mord an dem Blaublüter (Alessio Burani) kam. Und das bleibt nicht der einzige Bezug zu filmischen Mitteln, mit denen der erfinderische Japaner sein neues Tanzstück ausgestattet hat. „Ich sehe tote Menschen“ zitiert er im Programmheft den neunjährigen Cole aus M. Night Shyamalans Psychothriller „The Sixth Sense“. Auch mehrere Musikstücke, die er für seine Choreografie verwendet, sind aus Soundtracks von Thrillern und Fantasyfilmen entlehnt.
Diese modernen Suspense-Bezüge kollidieren allerdings mit dem manchmal nahe am Kitsch angesiedelten Bühnenbild, mit einer riesigen Fledermaus und stilisierten Spinnweben an der Rückwand. Da jedoch auch in exzellent getanzten, narrativen Teil gelegentlich komödiantische und leicht ironische Aspekte aufblitzen, ist das wohl als bewusstes Stilelement zu werten, um die düster-unheimliche Geschichte nicht nur ernst zu nehmen. Doch gerade dieses unentschiedene Changieren, die wechselnden Stimmungen zwischen aufflackerndem Grauen bis hin zu schaurig-blutigen Szenen im nächtlich abgedunkelten Haus und aufkommendem Gelächter, ist die Schwachstelle dieses aus Vampirromantik, Hard-boiled-Crime und unerklärlichen Schrecken gestrickten Tanzstücks. Wäre es beim Suspense geblieben, ohne Zutaten wie klanglichen Nagelbomben fürs Gehör und kunstvoll wankenden Bedienstete mit bluttriefenden Schürzen, hätte schwarzer Humor die Spannung sogar noch vertiefen können.
Dabei ist es Mori und Ausstatterin Léonie Droste (Bühne, Kostüme) durchaus gelungen kraftvolle, einprägsame Bilder zu entwickeln. Lange Zeit hat auch der Schwebezustand zwischen surrealen Eindrücken, düsteren Vorkommnissen und mysteriösen Erscheinungen, wie dem für alle anderen unsichtbaren Kind/Puppe (Harumi Takeuchi), eine packende Anspannung erzeugt. Dazu hat nicht zuletzt das ganze Ensemble mit einer grandiosen tänzerischen Leistung beigetragen, unter der Takeuchi mit einer Mischung aus kindlicher Unbeschwertheit, puppenhafter Ungelenkheit und katzengleicher Raffinesse hervorgestochen ist.
Das rätselhafte Kind, das mit seiner maskenhaften Bosheit und seinem unerwarteten Auftauchen manchmal an Tim Burtons üblen Poltergeist „Beetlejuice“ erinnert, ist bis zum Schluss im zwielichtigen Raum zwischen Trugbild, Projektion und Wahn stehengeblieben. Dagegen löste sich der Tod des herrschaftlichen Earls in einem allzu banalen Eifersuchtsmord durch seine Mätresse auf, der allerdings durch jähe Perspektivwechsel ein wenig kaschiert wird.
Gegen Ende der tänzerisch hinreißend entwickelten Krimi-Suspense-Horror-Story scheint Yuki Mori ein wenig die Fantasie ausgegangen zu sein. Oder er hatte nicht genug Vertrauen in die emotionale Bereitschaft der Zuschauer ungelöste Spannungszustände auch über den Theaterraum hinaus auszuhalten. Zu empfehlen ist „The House“ im Velodrom in Regensburg dennoch, sogar dringend anzuraten. Alleine schon wegen der Tänzer, die inzwischen ein Niveau aufweisen, mit dem sie in Bayern den Anschluss an Spitzenensembles gefunden haben.
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