Lazarus - a white shadow
Eine Butohperformance mit Live-Musik
Japan, das ist für unsere Konsumgesellschaft vor allem Sony, Sushi und Toyota. Aber das Land mit der schönsten Kirschblüte hat mehr zu bieten, kulturell vor allem. Japanische Kalligraphie, Nô-Theater und Kabuki – und den zeitgenössischen Butoh-Tanz. Entstanden ist er Ende der 50er Jahre aus dem Hiroshima-Trauma heraus und als Protest gegen die amerikanische Überfremdung nach dem Krieg mit leichter Unterhaltungsindustrie. „Ankoku Butoh“, also „Tanz der Finsternis“, nannte der Pionier Tatsumi Hijikata seine neue ungefällige Tanzform, die sich zugleich auflehnte gegen den in seiner hochkodifizierten Technik erstarrten klassischen japanischen Tanz. Eine Form gegen kommerzielle Harmlosigkeit und f ü r das Absurde, Groteske, Erschreckende.
Erste Eindrücke dieser für uns auch heute immer noch etwas rätselhaften Kunst bekam man 1982 auf dem Münchner Theaterfestival: der damals 78jährige Kazuo Ohno, mit Hijikata Begründer des Butoh, tanzte in Frauenkeidung sein Solo „La Argentina“, eine Hommage an die unter diesem Namen berühmt gewordene spanische Tänzerin Antonia Mercé. Kazuo Ohnos fragil-luftige Gesten, seine zart-eindringliche Präsenz waren schwebende Bewegungspoesie, evozierten Bilder und Gedanken über unsere Existenz zwischen Leben und Vergehen. Begleitet wurde der Meister damals von seinem Sohn Yoshito Ohno, der sich, neben seinen eigenen Solo-Produktionen, ab 1986 als Regisseur für die Auftritte seines Vaters verantwortlich zeichnete und nach dessen Tod 2010 auch sein Erbe pflegt. Nach über 30 Jahren ist er für einen Workshop und zwei Vorstellungen wieder nach München gekommen, dank einer Initiative des Moosacher Meta-Theater-Chefs Axel Tangerding und des Münchner Butoh-Choreografen Stefan Maria Marb, der bei Yoshito Ohno selbst studierte.
Zart wie Kazuo Ohno wirkt der nun auch schon über 70jährige Sohn. Was ist Butoh für ihn, möchte man wissen. „Ich habe, wie auch mein Vater, Modern Dance und Pantomime gelernt. Der Butoh übersteigt all diese Disziplinen, bewegt sich ins Spirituelle“, ist seine Antwort. Aber wie vermittelt man das als Pädagoge? „Ich gebe den Workshop-Teilnehmern verschiedene Objekte. Zum Beispiel eine Rose“, sagt er. „Die Rose strebt nach oben und wurzelt doch in der Erde, existiert zwischen Licht und Dunkel. Wenn ich mit der Blume immer die gleiche Übung mache – im Idealfall sieben Jahre lang –, bekomme ich ein Gefühl für die Rose in mir. Jeder hat diese Sensibilität. Der Lehrer muss sie nur wachrufen. Am Ende braucht man die Rose als Hilfsobjekt nicht mehr.“
Dann nimmt Yoshito Ohno eine kurze Lage hauchdünne Rohseide und zieht die flauschigen Fasern mit starkem Zug der Hände langsam zu einem langen schmalen Band. Das, so kapiert man, ist eine Übung für die spirituelle Verbindung des Zarten mit dem Kraftvollen. Aber wenn Yoshito Ohno nachsetzt mit „Realität und Irrealität, beides fließt im Butoh zusammen“, ist man dem Rätsel Butoh doch keinen Deut näher. Genau das aber ist der Punkt: man muss wohl, ja soll die westliche Ratio ausschalten und das Geschehen auf der Bühne mit dem Gefühl wahrnehmen. Er erzähle keine Geschichten, führt Ohno weiter aus: „Aber es gibt Grundthemen wie die Liebe, wie den Kreislauf des Lebens. Die schwangere Mutter gibt dem Baby in ihrem Leib Energie und bewegt sich ab da selbst schon in Richtung Tod. Der Tod ist immer in uns.“
Bei diesen Worten tauchen erinnerte Bilder aus hierorts in den 80er Jahren gesehenen Gastspielen auf: der Gruppe Sankai Juku, der Compagnie von Carlotta Ikeda, des Duos Eiko und Koma, der Solo-Performer Kô Murobushi und Min Tanaka: weiß geschminkte nackte Körper; extrem nach oben geschobene Augäpfel, bis nur noch das Weiße zu sehen war; einwärts gedrehte Füße und krallig verkrampfte Hände von Darstellern in Embryo-Haltung. Bilder, mit denen man Geburt und Sterben assoziiert. Aber wie haben die Butoh-Altmeister und ihre Schüler zu diesen ganz ungewöhnlichen Gesten und Haltungen gefunden? Und welche Rolle spielt der deutsche Ausdruckstanz von Mary Wigman und Harald Kreutzberg, der sie ja bekanntlich inspirierte? „Ja“, erklärt Ohno. „Man hat den hochexpressiven Tanz von Wigman studiert, hat ihn aber für sich umgeformt: Statt von innen nach außen zu projizieren, haben wir den Ausdruck nach innen zurückgenommen. Hijikata, in dessen erstem Stück 'Kinjiki' von 1959 mein Vater und ich mittanzten, sagte damals zu mir 'Du musst dich ganz fest, ganz starr machen'.“ Das sei ihm nur recht gewesen, weil es ihm leichter fiel als die nach außen strebenden gedehnten Bewegungen des modernen oder des expressionistischen Tanzes. Und was ist sein Anliegen in dem hier gezeigten Stück? Ohno: „Dass die Zuschauer sich wohlfühlen, dass sie Weltprobleme wie Israel-Palästina und die Ukraine eine Zeitlang ausblenden.“
Yoshito Ohno mit seinem Solo „A letter adressed to future me“ am 8. und 9. März 2014, 20 Uhr 30 im Münchner i-camp
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