Die Schriftstellerin Virginia Woolf – eine weibliche Ikone, die scharfsinnig die Lage der oft anonymen Hälfte der Menschheit kommentierte – stellte in ihrem Essay „Ein eigenes Zimmer“ die Frage, warum Männer Frauen viel interessanter finden als Frauen Männer? Ihre Antwort war, dass Frauen durch die Jahrhunderte als Spiegel fungierten, die „den Zauber und die köstliche Macht“, die Figur eines Mannes in zweifacher Größe widerzuspiegeln, besaßen.
Diese Spiegelung wird in „Germania – Next Topmodel“ kaleidoskopartig potenziert, indem Tänzer Martin Hansen uns die mannigfaltigen und stets wandelnden Bilder der deutschen Frau seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorführt. Als weder Frau noch Deutscher kann er als unbelastete, fast reine Projektionsfläche dienen, was oft gelingt. Auf der anderen Seite fragt man sich, warum ausgerechnet in einem Stück über weibliche Vorbilder keine Performerin die Geschichte des Frauenimages darstellt. Die Aufführung hat jedoch durch ihren männlichen Fürsprecher vielleicht auch die Möglichkeit zu zeigen, dass diese tatsächlich nicht nur Frauen- sondern vielmehr Menschenbilder sind, die als Bestandteil einer gesellschaftlichen Mythologie uns allen gehören – du gleichst dem Geist, den du begreifst, hat mal eine männliche Ikone von sich gegeben.
Anfangs betritt Hansen ein ausdrucksstarkes Bühnenbild von Theresa Scheitzenhammer, in dem hunderte verschiedene weibliche Kleidungsstücke an hochgezogenen Wäscheleinen baumeln wie die bunten Seelen der Frauen, die zum Trocknen ausgehängt wurden. Er – als eine sie – erzählt, sie sei die obersten 10,5 Meter eines 38 Meter großen Baus – mit anderen Worten, die imposante Germania auf dem massiven Niederwalddenkmal. Von der wuchtigen Germania bis hin zum ausgehungerten Topmodel – Frauenrollen scheinen nicht nur an Gewichtigkeit sondern auch an Gewicht verloren zu haben. Dazwischen gab es Clara Zetkin, Fräulein Feldgrau, Marlene Dietrich, Beate Uhse, Alice Schwarzer und viele andere, die die Vorstellungen von deutscher Weiblichkeit für sich – und für uns – immer neu definierten.
In Bild und Ton durchwandert das Stück ein Dickicht weiblicher Ikonen der neueren deutschen Geschichte und präsentiert sie oft mit augenzwinkerndem Humor. Hansen verwandelt sich auch mal in die Heldin des ostdeutschen Kultfilms „Paul und Paula“ und bittet das Publikum, ihr etwas Hübsches aus den um sie herum hängenden Klamotten auszusuchen, weil sie gern tanzen gehen möchte. Dann wird ihr vom Publikum noch eine lange pinkfarbene Perücke, die wie eine auseinandergewickelte Zuckerwatte aussieht, empfohlen. Später wandelt sich Hansen in die Avantgarde Performerin Laurie Anderson aus New York und singt ihr Lied „The Dream Before“: „History is an angel being blown backwards into the future“. Auch die Germania des 21. Jahrhunderts, Angela Merkel, wird zitiert – während sie im O-Ton erzählt, sie habe noch „die Bewegung aus der Krise raus“, führt Hansen durch galvanische Spasmen vor, wie diese Bewegung sich innerlich vielleicht gefühlt hat.
Diese Promenade durch die letzten Jahrhunderte ist ambitioniert und zeigt deutlich auf das soziopolitische Engagement des CADAM-Teams – Miriam Althammer, Christina Dettelbacher, Anna Donderer, Dominik Müller und Anna Wieczorek – die letzteren zwei teilen sich die künstlerischen Projektleitung des Stücks. Die Aufführung verliert sich jedoch manchmal in der ungeheuren Weite des Blickfelds – z.B. wenn Hansen mittendrin einen doch etwas zu langen Schuhplattler tanzt. Man fragt sich, was das über die Bedeutung und Entwicklung des Frauenbilds in der neueren deutschen Geschichte aussagen will. Die Performance könnte etwas tiefer auf die Analyse der Bilder und ihrer Bedeutung eingehen – das würde dem Stück insgesamt guttun.
Der Abend brilliert, wenn uns Hansen sein tänzerisches Können vorzeigen kann. Seine Behändigkeit erinnert an die bewundernde Äußerung Jack Lemmons zu einer weiteren weiblichen Ikone, Marilyn Monroe, in „Manche mögen’s heiß“: „Wie Götterspeise auf Beinen“. Wenn Hansen sich in den Tanz begibt, scheint er mit seinen flotten, glatten Bewegungen aus Latex zu sein. Vielleicht fließt statt Blut Gleitmittel in seinen Venen. Er ahmt bzw. äfft die hinter ihm projizierten, bedeutungsschweren Frauenbilder aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert nach und sprengt dabei den Woolf'schen Männerspiegel in schillernden Stücken.
„GERMANIA“ stellt eine würdige Folge zu dem im letzten Jahr uraufgeführten Stück „hiSTOREy“ dar und deutet auf eine junge künstlerische Kooperative hin, die sich selbst gern herausfordert und historische und gesellschaftliche Entwicklungen prüfend unter die Lupe nimmt. Mit ein bisschen mehr Fokussierung könnten auch ihre Bilder eine ähnliche Tragweite wie die der GERMANIA – und weitaus mehr als Germanys Next Topmodel – bekommen.
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