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MENSCHEN UND BERGE
Georg Reischl im Gespräch über seine Uraufführung „Höhenrausch – ein Alpenballett“
Georg Reischl versteht bestens, es auf der Bühne „menscheln“ zu lassen. Zuletzt leitete er von 2019 bis 2022 als Chefchoreograf die Sparte Tanz am Theater Regensburg. Nach seiner Ausbildung in Salzburg und an der Wiener Opernballettschule tanzte er zunächst bei Liz King in Heidelberg, dann beim Scapino Ballett Rotterdam, dessen Hauschoreograf er wurde. 1999 wechselte Reischl, der aus dem Salzburgischen Wals-Siezenheim stammt, zum Ballett Frankfurt. Bis zur Schließung der Kompanie erlebte er die gemeinsamen Schaffensprozesse mit William Forsythe und blieb bis 2014 in dessen neuer „The Forsythe Company“. Seine zeitgenössische Uraufführung „Höhenrausch – ein Alpenballett“ am Gärtnerplatztheater verbindet Reischl mit Anton Bruckners 4. Sinfonie „Die Romantische“.
Ihre erste Ballettdirektion wurde durch den Intendantenwechsel am Theater Regensburg beendet. Nun wird das Haus zum Staatstheater. Schmerzt das?
So etwas ist eine Kollektiventscheidung, die nicht unbedingt von einem bestimmten Intendanten abhängt. Da spielt alles mit rein – auch was schon vor mir dort lief. Für die Stadt und alle, die dabeibleiben können, ist das toll. Natürlich wünscht man sich auf einer menschlichen Ebene, es wäre anders verlaufen. Aber ich bin froh, dass ich eine Position haben durfte, in der man Verantwortung für die Tänzer*innen trägt, die da sind und für den Ort, an dem man arbeitet.
Sehen Sie sich selbst zukünftig wieder in leitender Funktion oder bleiben Sie lieber freischaffend?
Es interessiert mich, wie man heute eine Kompanie an einem Stadt- oder Staatstheater führt. In diese Richtung habe ich mich weiterentwickelt. Mein Kultur- und Medienmanagement-Studium, das ich neben dem Choreografieren absolviert habe, war auf „Führen“ fokussiert. Es drehte sich um Zahlen, das Bürokratische und wie man mit Menschen umgeht. Kommunikation war ein Thema, das mich sehr beschäftigt hat. Ein Blick, der mir auch in meiner künstlerischen Arbeit half. In einer eigenen Truppe kann man Dinge völlig anders vorantreiben, als wenn man nur Gast ist.
Ihre Tanzausbildung machten Sie gemeinsam mit dem derzeitigen Direktor des Gärtnerplatz-Balletts Karl Alfred Schreiner. Sie waren bei ihm früh an „Minutemade“ beteiligt und 2015 an den „Frankfurt Diaries“. Nun folgt ein pausenloser Abendfüller. Wie kam es dazu?
Karl fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, etwas über das Alpenländische, seine Traditionen und Brauchtum zu machen – jene Bergwelt, die unser beider Kindheit geprägt hat. Mozart wollte ich vermeiden. Bei meiner musikalischen Recherche stieß ich auf Bruckners „Romantische Sinfonie“, die ich dann vorgeschlagen habe. Eben weil sie sehr konsequent in ihrer Thematik und Bildkraft ist, die sich durch bestimmte Instrumente zeigt und wie diese eingesetzt werden.
Als ehemaliger Forsythe-Tänzer steht der bloße Tanz für Sie bzw. in ihren Stücken nicht unbedingt an oberster Stelle. Wie setzen Sie diesen ein, um inhaltlich etwas zu transportieren?
Mich motiviert der menschliche Aspekt in dem, was wir tun, nicht nur die Form des Tanzes. Das ist mir wichtiger – und in Regensburg hat sich nochmals verstärkt, dass es immer eine soziale Ebene gibt oder einen von mir aus der Gesellschaft herausgekitzelten Inhalt. Wie man mit Bildern Bewegungsabläufe verändern kann – von innen heraus und nicht von der Form ausgehend – das sind Dinge, mit denen ich mich befasse.
Wie packen Sie eine Neukreation an?
Ich habe eine Vision – eine bewegungstechnische oder inhaltliche Idee, die ich brauche, um ins Studio zu gehen. Bei „Höhenrausch – ein Alpenballett“ war das dadurch sehr greifbar, dass Österreich das Thema und mein Herkunftsland ist. Das Stück hat zudem durch mein Aufwachsen in diesem traditionsverhafteten „Korsett“, das mir irgendwann zu eng wurde, eine recht persönliche Komponente. Als Choreograf suche ich nach Gegensätzen und bringe hier zusammen, was nicht zusammengehört. Das beginnt schon beim Titel. Denn was haben Alpen mit Ballett, was haben Traditionen aus dem alpinen Raum mit zeitgenössischem Tanz zu tun?
Welche Rolle spielt die vom Orchester des Gärtnerplatztheaters live gespielte Musik?
Bei der Musikauswahl ist mich immer maßgebend, dass mich etwas berührt, ein Bewegungsdrang ausgelöst wird. Ich bin durchaus jemand, der auch „besucherorientiert“ – also an einen spannenden Mehrwert für das Publikum – denkt. Bruckners 4. Sinfonie war der Ausgangpunkt für mein Stück. Aus der Grundidee haben sich thematisch die vier Teile ergeben. Dann habe ich entschieden, welche Bräuche ins Stück eingearbeitet werden und wie – beispielsweise mit einem Almabtrieb oder im dritten Satz zu Bruckners Jagd-Scherzo mit den Krampussen – zu verfahren ist.
Warum bezeichnen Sie ihr Stück als assoziativen Tanzabend?
„Höhenrausch“ ist kein Handlungsballett. Es gibt vier Sätze und drei Übergänge respektive Zwischenszenen – so nenne ich das. Da spiele ich mit assoziativen Geräuschen. Ich erzähle keine Geschichte. Dennoch gibt es eine Entwicklung im Raum und Verwandlung. Wir brechen auf zu einer Reise, die uns aus einer Postkartenlandschaft in die Berge und weg ins Abstrakte führt. Ich will dem Publikum etwas geben, aber auch etwas nehmen: Die Zuschauer sollen selbst assoziieren, sich eigene Gedanken machen mit dem Wissen, das sie haben und den Bildern, die sie zu sehen bekommen.
Was tragen die für alle Tänzer*innen pro Satz einheitlichen Kostüme dazu bei?
Als Bayer konnte sich Michael Lindner, unser Bühnenbildner, gut in meine Gedankenwelt einfühlen. Für die Kostüme war ein anderer Blick von außen bedeutsam. Jemand sollte die Kostüme machen, der nicht aus dem alpinen Kulturkreis kommt. Min Li stammt ursprünglich aus China, lebt aber in Holland. Er war selber Tänzer und hat unter anderem seinen eigenen Krampus-Typ entwickelt. Das ist spannend, weil die Kostüme dieser Gruppe auch sehr bewegungsverstärkend wirken. Eine binäre Unterscheidung – also Garderobe, die man entweder Frauen oder Männern zuordnen kann – gibt es in „Höhenrausch“ nicht. Egal was wir tragen, hinter jeder Fassade von Tracht stehen immer nur Menschen. Und allein die zählen.
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