Jan Broeckx, Leiter der Ballett-Akademie München
Jan Broeckx, Leiter der Ballett-Akademie München

Kinder im Fokus

Prof. Jan Broeckx, Institutsleiter der Ballett-Akademie, Hochschule für Musik und Theater München

Access to Dance, das Tanzportal für Bayern, befragt Tanzschaffende in Bayern zu ihrer Arbeit während der Pandemie. Jan Broeckx hat mit allen Herausforderungen zu kämpfen, welche sich derzeit einem Theaterbetrieb stellen, dabei aber die Bedürfnisse seiner jungen Tänzer*innen – vielfach Kinder – in den Fokus aller Verantwortung zu rücken.

München, 17/02/2021
Herr Broeckx, vor welche Herausforderungen stellt die Pandemie Sie, als Leiter der Ballett-Akademie München?

Sie stellt eine riesige Herausforderung dar: Es gibt keinerlei Planungssicherheit, Stundenpläne müssen permanent verändert und angepasst werden. Studierende, die von den Auswirkungen der Pandemie stark betroffen sind, müssen weiter motiviert und unterstützt werden. Online-Unterrichte gilt es parallel abzuhalten und andere Vorbereitungen zu treffen. Vor allem während des ersten Lockdowns war die Realisierung vieler elementarer praktischer Lehrinhalte nicht möglich: z.B. Repertoire, Bühnenpraxis oder Pas-de-deux-Unterricht. Studierende konnten lediglich in „Form“ gehalten werden, aber mit dem eigentlichen „Programm“ kam man kaum weiter. Speziell bei den Jungstudierenden, den Kindern, war es sehr schwierig, deren Konzentration per Online-Unterricht aufrecht zu erhalten: Hinzu kamen Probleme wie Internet-Ausfall, dann gab es wieder keinen Ton, auf einmal waren zu Hause Hund oder Katze im Bild und lenkten ab. Eltern oder Geschwister benötigten den PC für Homeoffice bzw. Homeschooling – die zu bewältigenden Herausforderungen und Aufgaben brechen nicht ab, bis heute.

Zeit ist eine Kern-Thematik des vor allem klassischen Tanzes, da das aktive Berufsleben unproportional kurz ist. Wie motivieren Sie ihre Jung-/Studierenden, diese Zeit zu überstehen?

Ja, das Berufsleben im Ballett ist sehr kurz, und auch der Unterrichtsaufbau, die Tanzausbildung benötigt intensive Zeit, die man jetzt nicht hat. Dazukommt, dass derzeit viele Abschlussstudierende wegen der Pandemie keine Verträge finden; Vortanzen können nicht oder nur live stattfinden. Einige Dozierende unserer Jungstudierenden haben sich zusammengetan und einen speziellen Plan entwickelt, wie die Jungstudierenden nicht nur ihr klassisches Training absolvieren, sondern vor allem motiviert werden können, etwa mit Unterricht in modernem Tanz, Improvisation oder Pilates etc.

Gibt es künstlerische Anpassungen oder neu entwickelte Formate in der praktischen und theoretischen Ausbildung, welche Sie auch nach der Pandemie beibehalten möchten?

Ja, wir haben entdeckt, was alles anhand digitalen Arbeitens möglich ist: Meetings mit Dozierenden können jetzt per Zoom einfach von zu Hause aus abgehalten werden. Früher war es fast nie möglich, dass sich alle gemeinsam treffen, weil der Stundenplan immer so voll war. Jetzt verabreden wir uns ab und zu mal am Abend für Besprechungen, wenn alle Zeit haben. So wurden etwa neue Arbeitsgruppen online gebildet, und wir haben auch das für uns wichtige Projekt des Pädagogischen Konzepts auf diese Weise realisieren können. Dessen Mitwirkenden und Koautoren befanden sich während der Entstehungsphase ebenfalls im Lockdown – und zwar in unterschiedlichen Ländern. Außerdem arbeiten wir momentan an einem Projekt mit der Choreografin einer anderen Tanzhochschule in Deutschland zusammen, die gemeinsam mit allen Studierenden eine Online-Choreografie kreiert.

Welches Feedback erhalten Sie von Jung-/Studierenden? Gibt es auch positive Seiten, welche diese für sich an Online-Trainings oder am Selbststudium im Home-Training entdeckt haben?

Eltern der Jungstudierenden haben uns ihren Dank gezeigt und ihre Zufriedenheit darüber geäußert, wie wir versuchen, uns um die Kleinsten zu kümmern. Aber sowohl für sie als auch die Vollstudierenden bleibt es schwierig. Momentan ist es leider einfach die einzige Möglichkeit, so weiter zu unterrichten, die Studierenden nicht zu verlieren, zu versuchen, sie weiter zu motivieren und im wahrsten Sinne des Wortes „bei der Stange zu halten“.

Die Aufführungspraxis stellt ein wesentliches Fundament in der Ausbildung der herangehenden Tänzer*innen dar – auf welche Kompensation oder Alternativen bauen Sie nun?

Weil wir einer Hochschule angehören und die dazugehörige professionelle Ausbildung anbieten, haben wir das Privileg, mit unseren Bachelor-Studierenden derzeit fast den ganzen Präsenz-Unterricht im Ballettsaal durchführen zu können; dies natürlich unter strikter Einhaltung der auferlegten Hygienevorgaben. Dies ist ein großer Vorteil privaten Tanzschulen gegenüber. Unsere Vorstellungen mussten wir bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider alle absagen. Wir hoffen aber im April wieder auf der Bühne stehen zu können, bei der traditionellen Bosl-Matinee im Münchner Nationaltheater – natürlich abhängig von der weiteren Pandemie-Entwicklung. Sollte diese stattfinden können, dann jedoch sicherlich wieder nur unter sehr strikten Hygiene-Bedingungen und nicht vor vollbesetztem Haus…

Welche Unterstützung konnten Sie Studierenden anbieten, welche ihre Ausbildung im Sommer zwar bereits abgeschlossen, aber mit den verheerenden Situationen an den Theatern zu kämpfen haben?

Wir haben sofort eine Extra-Klasse (7. Semester) eingerichtet, um den Absolvent*innen die Möglichkeit zu geben, weiter zu trainieren, in Form zu bleiben, und so die beste Chance beim Vortanzen zu haben, und nach Möglichkeit einen Vertrag zu ergattern. Einige bleiben jetzt noch als Gaststudierende bei uns und werden in andere Klassen aufgeteilt. Wir dürfen aber keine jahrgangsübergreifende bzw. Gruppenmischung durchführen. Auch ein Maximum der Gruppengröße pro Quadratmeter im Ballettsaal sind vorgegeben. Lüftungspausen müssen eingelegt werden, und das alles ist ständig auf dem Stundenplan zu koordinieren – eine echte Herausforderung! Alle unsere Theorieunterrichte – Tanzmedizin, Tanzgeschichte, Musiktheorie und der Deutschkurs – werden online gegeben; dies bringt dann wieder Organisationsschwierigkeiten mit sich. Studierende müssen sich nach Hause begeben, oder einen Platz in der Ballett-Akademie finden, um online arbeiten zu können. Im ersten Lockdown haben wir sofort alles auf online geschaltet. Dazu musste dann auch ein neuer Stundenplan entwickelt und stets im Hinterkopf behalten werden, dass sich Studierende eines einzigen Studienjahrs momentan in jeweils anderen Zeitzonen befinden: Asien, USA, Europa.

Die Ballett-Akademie München ist die einzige staatliche Tanzausbildung in Bayern. Stehen Sie derzeit mit anderen Tanz-Ausbildungsstätten Deutschlands in Kontakt?

Ja, ich bin in Kontakt mit der Palucca-Schule in Dresden, wo die Situation fast noch schlimmer ist: Da kann noch immer kein allgemeiner Präsenzunterricht stattfinden; nur die letzte Abschlussklasse darf dort im Ballettsaal trainieren. Außerdem habe ich verschiedene internationale Kolleg*innen befragt, wie sie es handhaben, um unseren Studierenden das Bestmögliche anbieten zu können. Die sich ständig verändernden Anpassungen, der sich ständig verändernden Situation, verlangt unseren Dozierenden und administrativen Mitarbeiter*innen viel Energie und Geduld ab.

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?

Am meisten beschäftigen mich die Einschränkungen, die Angst vor einer möglichen Infizierung. Wir versuchen unserer kleinen Tochter zu vermitteln, was dies alles bedeutet; aber es ist schwierig, einem Kind verständlich zu machen, weshalb es seine Freund*innen derzeit nicht treffen kann. Reisen – privat und beruflich – vermisse ich sehr. Unsere Familien leben im Ausland, und wir können leider nicht zu ihnen. Es herrscht auch die ständige Sorge, dass etwas mit ihnen geschehen könnte. Vor allem aber die Ungewissheit, wie sich alles entwickeln, wie die Zukunft aussehen wird, nagt an mir.

Hinweise zur Bewerbung an der Ballett-Akademie finden Sie hier.

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