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München
KLASSISCH - KOKETT - KRAFTVOLL
Jubel für Ratmanskys „Tschaikowsky-Ouvertüren“ am Bayerischen Staatsballett
Es mag ein riskantes Unterfangen sein, einen Tag vor Heiligabend eine Premiere anzusetzen. Doch wie sich zeigt, lässt sich das Publikum nicht vom Besuch dieses Ballettabends abhalten, sondern macht sich gleich selbst ein Weihnachtsgeschenk: Drei große Shakespeare-Dramen locken das Publikum in das ausverkaufte Haus des Münchner Nationaltheaters, das das Bayerische Staatsballett für Alexei Ratmanskys Uraufführungen zu den Tschaikowsky-Ouvertüren „Hamlet“, „Der Sturm“ und „Romeo und Julia“ feierte.
Zum Verständnis der Tschaikowsky-Ouvertüren sei rekapituliert, dass sich die Bedeutung der „Ouvertüre“ im Laufe der Zeit gewandelt hat. So waren es im Mittelalter die Fanfaren, Trompeten, Posaunen oder Pauken, die Feierlichkeiten ankündigten. Später, im Barock, in der Klassik und zu Beginn der Romantik dienten die Ouvertüren von Oper und Ballett der Vorwegnahme musikalischer Themen und Melodien als Auftakt zur Handlung in dem dann folgenden musikdramatischen Werk. Nicht so bei Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüren, der sie als Experimentierfeld betrachtet. Diese musikalische Lesart macht sich auch Alexei Ratmansky in seinen Shakespeare-Choreografien für das Bayerische Staatsballett zu eigen. Losgelöst von der Handlung, eher interpretierend erlebt das Publikum die Shakespeare-Dramen und doch lassen sich sind einzelnen Szenen z.B. dem „Sturm“ oder auch „Romeo und Julia“ zuordnen.
Eröffnet wird der Abend mit Tschaikowskys „Elegie“ aus der Bühnenmusik zu „Hamlet“ mit dem Tänzer Shale Wagman, der die melancholische Figur Hamlets dem Publikum eindrucksvoll vorstellt, bevor Osiel Gouneo in der Hamlet-Ouvertüre die innere Zerrissenheit des tragischen Helden plastisch zum Ausdruck bringt. Das dynamisch agierende Ensemble, das in scheinbar zusammengewürfelten Gruppierungen und im nächsten Moment in klassischen Formationen auftritt, unterstreicht nicht nur die seelischen Qualen Hamlets. Die Tänzer*innen stellen damit unter Beweis, wie flexibel sie vom Klassischen Tanz in zeitgenössische Bewegungssprachen wechseln können.
Ratmansky als ausgewiesener Kenner des klassischen Balletts spielt gerne mit klassischen Formen bzw. kokettiert mit ihnen und verlässt bisweilen auch ihren Rahmen. Dass er die Farben blau und weiß für die zweite Choreografie des Abends, Shakespeares „Der Sturm“, wählt und die Tänzerinnen im Tutu auftreten lässt, ist kein Zufall. Erinnern die Farben blau und weiß sowie das Tutu doch an die großen russischen Ballette wie „Schwanensee“. Im Kontrast dazu wechseln die Tänzerinnen mit ihrem Schulterzucken leicht ins Varietéhafte, lassen dem Publikum ein Schmunzeln entlocken, bevor sie wieder in klassischere Gefilde zurückkehren.
António Casalinho vollführt eine spektakuläre Sprung- und Pirouetten-Kombination en manège, die sicherlich alle Träume Tschaikowskys übertroffen hätte. Enorm, welche Körperbeherrschung der zierliche und elegante Tänzer an den Tag legt und dabei die Schwerkraft zu überwinden scheint.
Trotz der klassischen Formensprache hebt Ratmansky auch das dritte Shakespeare-Werk „Romeo und Julia“ dramaturgisch auf eine abstrakte Ebene, wenngleich einige Passagen deutlich die Handlung hervortreten lassen. Mal treten die Liebespaare solistisch oder auch in kleinen Gruppen und Reihen auf, die sich auffächern und die Struktur der musikalischen Komposition auf der Bühne sichtbar machen. Wie eingangs bei der „Hamlet“-Ouvertüre wird auch der „Romeo und Julia“-Fantasie-Ouvertüre eine einleitende Komposition vorangestellt (posthum fertiggestellt und instrumentiert vom Tschaikowsky-Schüler Sergei Iwanowitsch Tanejew). Elmira Karakhanova (Sopran) und Aleksey Kursanov (Tenor), die in das Bühnengeschehen eingebunden sind, überzeugen stimmlich wie gestalterisch mit dem Gesangsduett.
Die Kombination aus Abstraktem, konkreten Formen und Narrativem zieht sich nicht nur im Tanz durch den dreiteiligen, zutiefst beeindruckenden Abend. Sie findet ihre Entsprechung auch in den durchscheinenden, verschiebbaren Bühnenleinwänden, die aus grau-/schwarzweiß-Tönen mit feinen, schlierenartigen Pinselstrichen bestehen. Auch das Programmheft nimmt dieses Grau-/Schwarzweiß-Motiv des Bühnenbildes auf und erlaubt dem Betrachter seine subjektive Wahrnehmung.
Welche Schlüsse das Publikum aus den dicht gewobenen Shakespeare-Fragmenten für sich auch ziehen mag, so eindeutig ist die Anerkennung und Hochachtung, die es dem gesamten Ensemble bei der Premiere entgegenbringt. Ein außergewöhnlicher Abend, der in Erinnerung bleibt.
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