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München
WENN DIE AUGEN GRÖßER SIND ALS DIE SCHUHE
Herbstmatinee der Heinz-Bosl-Stiftung am Nationaltheater München
Wenn nach der vom Publikum gefeierten Vorstellung noch hinter der Bühne Applaus zu hören ist, dann zeigt dies, dass alle Beteiligten zum großen Erfolg jener gerade vergangenen Vorstellung beigetragen haben. Es zeigt auch erneut, dass die jungen Tänzerinnen und Tänzer hier, bei der Heinz-Bosl-Stiftung, auf ihren Beruf ausgezeichnet vorbereitet werden.
Ivan Liška, Vorstandsvorsitzender der Stiftung, erinnerte in seiner Ansprache dabei an den Namensgeber dieser Stiftung, die zum Ziel hat, junge Tänzer*innen in ihrer beruflichen Laufbahn zu unterstützen, eine Herausforderung, die mehr denn je aktuell sind. Das Thema Bühnenerfahrung, nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung der jungen Tänzer*innen, sondern auch für den beruflichen Einstieg und Fortkommen unerlässlich, rückt – so bitter es ist – buchstäblich in den Hintergrund. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Verhältnisse ist es daher umso bemerkenswerter, eine Reihe von Tänzer*innen nach Abschluss ihrer Ausbildung in Engagements vermittelt zu haben. Anders als sonst fühlte sich bei dieser Matinee der Applaus daher vor und hinter dem Vorhang wie Musik an, nach der sich Tänzer*innen wie Publikum gleichermaßen sehnen.
Liška betonte in seiner Begrüßung, dass es das Fluidum zwischen Publikum und den Künstler*innen ist, was Lebensfreude schenkt, inspiriert und Tanzvorstellungen zum Ereignis werden lassen. Zugleich richtete Liška seinen Blick in die Zukunft und ermutigte Kinder, deren „Augen größer sind als [ihre] Schuhe“, eine Tanzausbildung zu beginnen.
So wurde diese Matinee gleich mit einem Paradestück an Sorglosigkeit und Lehrstück an Stilistik und Technik eröffnet: Auf dem Programm standen August Bournonvilles fast frühlingshafte Divertissements aus seinem vom Königlich Dänischen Ballett 1842 uraufgeführten Ballett „Napoli“, einem Souvenir, das der dänische Choreograf und Ballettmeister von seiner Europareise mitbrachte und seitdem zum Ballettrepertoire gehört. Klassisch in seiner Reinkultur, leichtfüßig mit exakten, flinken Beinen und Schrittfolgen, schweben die Tänzer*innen der Ballettakademie in hellblaues Licht getaucht über die Bühne. Musikalisch begleitet wurde das ganz im Sinne von Bournonville harmonisch tanzende Ballettensemble ebenso präzise wie schwungvoll vom Volta-Ensemble der Münchener Musikhochschule unter Mark Pogolski.
Mit Jörg Mannes' „Unsterbliche Geliebte“, das Ludwig van Beethoven gewidmet ist, folgte ein kontrastreiches, temporeiches Werk, dessen Musik hier in bewegten und damit auch bewegenden Bildern auf die Bühne gebracht wurde. Die (Klang)rede ist von Beethovens 4. Klavierkonzert mit seinen überraschenden harmonischen Wendungen, seinem rhythmischen „Klopfmotiv“, das auch in seiner 4. Sinfonie zu finden ist, alles Parameter, die Beethovens Zerrissenheit treffend charakterisieren. Ob es sich bei der in Beethovens berühmtem Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ tatsächlich um eine Person handelt, ist nicht eindeutig geklärt, spielt aber bei Jörg Mannes' Choreografie eher eine untergeordnete Rolle. Mannes Intention ist es, Beethovens emotionalen, sich ständig wechselnden Gemütszustand in Bewegung umzusetzen. Zu sehen ist ein ständiger Wechsel zwischen Einzelauftritten und Gruppenformationen. Wie flatternde Vögel erscheinen die jungen Tänzer*innen und verschwinden wieder von der Bühne. Noch unverbraucht, mit geschmeidigen Bewegungen, dabei die musikalische Struktur im Auge behaltend, auch mit den kaskadenartigen Klavierpassagen, konnte das 16-köpfige Ensemble des „Bayerischen Juniorballetts“ die Musik überzeugend tänzerisch auf die Bühne bringen.
Andere Länder, andere Sitten und anderer Tanzstil, der in allen großen klassischen Balletten zu finden ist: Mit Dimitri Sokolov-Katunins „Charaktertanzsuite“ reisen wir nach Italien (Tarantella), nach Russland (Russischer Tanz), lassen uns vom mitreißenden südländischen Temperament in den Zigeunertänzen und dem spanischen Flamenco anstecken.
Zu einem besonderen Tanzerlebnis dieser Matinee zählte Mozarts Adagio aus seiner Serenade Nr. 10, der „Grand Partita“. David Russo nannte sein Werk nicht ohne Grund „Gran Party(ta)“, die im Rahmen der diesjährigen „Herbstlichen Musiktage Bad Urach“ uraufgeführt und im wahrsten Sinne gefeiert wurde. Präsentiert wurde zeitgenössisches Bewegungstheater, die Vielfalt menschlicher Beziehungen widerspiegelnd. Das auf Socken dahingleitende Tanzquartett vollführt komplexe Tanzfiguren in verschiedenen Formationen, die an Eiskunstlauf erinnern – skurril und unterhaltsam.
Mit „UnHeaven“, einer Choreografie, bei der die Zeit zu stehen bleiben scheint, endet eine ungewöhnliche Matinee, die nach zwei Jahren wieder das Licht der Bühnenwelt erblickt hat. Wie sehr dieses ganz eigensinnige Werk „UnHeaven“ (mit weißen Federn ausgestattete Bühne) den Akteuren Freiraum bietet, von ihnen geradezu die eigene Ausdruckskraft einfordert, ist auffallend. Klar ist, dass Martina La Ragiones Traum „UnHeaven“ als pars pro toto ein überzeugendes Beispiel dafür ist, dass Technik zwar die Wirkung eines Werkes unterstützt, aber echtes Publikum mit echtem Applaus – nach wie vor – unersetzbar ist.
Kommentare zu "Wenn die Augen größer sind als die Schuhe"
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