LEUTE
München
SYMBOLFIGUR UNSERER ZEIT
Karl Alfred Schreiner, Ballettdirektor am Staatstheater am Gärtnerplatz
Herr Schreiner, Ihre lang geplante Premiere von „Undine – Ein Traumballett“ musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Inwieweit kann die Titelrolle als eine Symbolfigur der Gegenwart verstanden werden?
Die „Undine“ ist eine immerwährende Symbolfigur. Die Sehnsucht, von einem Element in ein anderes überzutreten, ist eine zutiefst menschliche. Das Geheimnis, das die Figur mit sich bringt, dass sie keine Nähe erlaubt, ist bewusst gewählt in dieser Zeit. Die choreografische Umsetzung mit den geforderten Abständen zwischen den handelnden Personen ist ein direkter Spiegel dessen, was wir gerade erleben. In dem Stück liegt sozusagen eine große Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe, die aber aus den bekannten Gründen unerfüllt bleiben muss.
Inwiefern stellt die Pandemie Sie in Ihrer Kunstform Tanz vor Herausforderungen? Mit welchen Problemen kämpfen Sie?
Der Kontakt, das gemeinsame Atmen, körperliche Nähe sind Grundstilmittel unserer Kunstform. Die Unmöglichkeit gewisser choreografischer Formen unter den gegebenen Hygienemaßnahmen, stellt den Choreografen vor große Herausforderungen. Die logistische Herausforderung, die hinter Hygiene-, Sicherheitskonzepten und Teststrategien steckt, kostet viel Zeit, die sonst in kreativen Prozessen verwendet würde. Die Erfüllung unserer Kunstform liegt darin, sie live mit einem Publikum zu teilen. Die Auswirkungen des Verlustes dieser Möglichkeit können wir vermutlich in letzter Konsequenz noch gar nicht abschätzen.
Setzen die variierenden Restriktionen – Kontaktbeschränkungen, angepasste Trainings- und Probensituationen – auch künstlerische Impulse frei oder dienen sogar als Inspiration?
Ja, ganz klar. Jeder gesellschaftliche oder soziale Impuls ist immer Teil einer Gegenwartskunst, wie es bei uns der Fall ist. Ein so drastischer Eingriff in das Leben aller Menschen, muss sich in der Kunst widerspiegeln.
Haben Sie neue künstlerische Formate entwickelt, die sonst nicht entstanden wären?
Ja, im Sommer entstanden die Produktionen „Metamorphosen I“ und „Metamorphosen II“ als direkte Konsequenz der gültigen Maßnahmen. Die spezielle Form der Präsentation von „Undine“ ist ebenfalls eine konkrete Form der Arbeit mit den Hygienemaßnahmen. Ein prägendes Bühnenelement sind hier großflächige Plexiglasscheiben.
Welche künstlerische Anpassung werden Sie auch nach der Pandemie beibehalten?
Künstlerische Vorarbeiten zu Produktionen werden vermutlich auch zukünftig viel mehr in Form von Videokonferenzen stattfinden. Das hat sich bewährt und gut funktioniert. Gleichzeitig wurde uns deutlich bewusst, wie wichtig die Wertschätzung der persönlichen, analogen Arbeit mit den Künstler*innen ist.
Die Tanzwelt lebt derzeit von Live-Streams, Video-Konferenzen, Online-Trainings etc. Wieviel analoge Wirklichkeit braucht der Tanz noch in der Zukunft?
Eine der Erkenntnisse der aktuellen Zeit ist, dass die analoge Wirklichkeit das grundlegende Element unserer Kunstform ist. Ich glaube nicht, dass der Tanz sich noch mehr ins Digitale entwickeln wird. Es hat uns eine neue Möglichkeit eröffnet, aber die Haptik und das Analoge bleiben eine immerwährende Basis der Tanzwelt – und das Bewusstsein dafür ist gewachsen. Ich freue mich aber über alle digitalen Maßnahmen, die nun früher Einzug gehalten haben, als sie es sonst getan hätten. Ich glaube, die digitalen Angebote werden zukünftig eine Ergänzung sein.
Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?
Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, die über den ganzen Kontinent verstreut lebt. Ich vermisse das Reisen, das Zusammentreffen von Familie, Freunden und Bekannten, gemeinsam Zeit zu verbringen, das offene Gespräch mit vielen Menschen an einem Tisch. Wer schon mal in Italien mit Familie Weihnachten gefeiert hat, weiß, was ich meine.
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