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Regensburg
ZEHEN AUF WANDERSCHAFT
Solotanznacht bei den Regensburger Tanztagen
Haben sich die Tanztage Regensburg längst zu einem kulturellen Highlight der Region mit ausverkauften Vorstellungen entwickelt, birgt die Solotanznacht immer noch ein Quäntchen mehr an Spannung. Präsentieren sich an diesem Abend doch die Preisträger des Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festivals von Stuttgart, welches heuer zum 23. Mal stattfand. Ins Leben gerufen von dem Tänzer und Choreografen Marcelo Santos, der heute noch dessen künstlerischer Leiter ist und mit den PreisträgerInnen in Deutschland und Europa auf Tour geht. Durch die Teilnahme junger KünstlerInnen aus allen Teilen der Welt, besticht die Solotanznacht vor allem durch Überraschungen und Entdeckungen. Von den diesjährigen PreisträgerInnen sind drei aus europäischen Regionen und jeweils eine aus Nord- und Südamerika und Vorderasien. Thematisch bewegten sich die Stücke von der inneren Selbsterforschung über feministische Positionen, Angst und Selbstbehauptung bis hin zu Hotelerlebnissen. Mirakulös wirkte Carlo Gonzales Choreografie „Onírico“, kraftvoll getanzt von dem kanadischen Tänzer Seth Buckley, der damit den zweiten Preis im Bereich Tanz an Land zog. Über einer minimalistischen Musik von Brian Eno entfaltete er in behutsamen Bewegungen eine rätselhafte, surreal anmutende Stimmung, die durch seine muskulöse Erscheinung eine irritierende Spannung hervorrief.
Ganz anders die französische Tänzerin Leïla Ka, die in ihrem Stück „Pode Ser“ Hip-Hop-Klänge mit der Musik von Franz Schubert zusammenbrachte. Die starken (musikalischen) Kontraste setzten sich im langen weiten Kleid, das sie über einer Hose und mit Turnschuhen trug, und einem ganz eigenen und eigenwilligen Bewegungsrepertoire fort. In minimalen, dabei rasend schnellen Formen der Ellbogen und Schultern liegen flatternde Befreiungsbemühungen, Scheu und Sehnsüchte nahe bei einander. Damit entfaltete die junge Tänzerin eine überwältigende Wirkung, die sich noch in der Schlussphase in lauten Beifallsrufen und stürmischem Applaus entlud. Hinter Leïla Ka und der Belgierin Nina Plantefève-Castryck landete die israelische Tänzerin Shirly Barbie mit ihrer an alltäglichen Abläufen und Ritualen orientierten Kreation „Do You Love Me“ auf dem dritten Platz für Choreografie. Über einer ruhigen Streichermusik von Max Richter tauchte sie ein in eine Welt aus kindlichem Spiel, einbrechender Furcht, vergeblichen Mühen und berührenden Momenten. Sie lotete damit auf ureigene Weise das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem aus und stellte die Frage: „Was ist wahr?“
Nina Plantefève-Castryck dagegen ging es in „All in One“ darum, ob und wie man mit sich selbst in eins kommen kann. In der Psychologie meint das, die unterschiedlichen Merkmale einer Persönlichkeit zu integrieren, letztlich also auch seine dunklen und schlechten Seiten zu akzeptieren. Mit raspelkurzem Haar und innovativer Bewegungssprache, in die sie Elemente des Streetdance ebenso wie klassische Formen integriert hat, entwickelte sie über elektronische und akustische Indie-Popmusiken eine erstaunliche Wucht und große Würde. Dafür erhielt die leidenschaftliche und sicher beste Tänzerin des Abends noch zwei weitere Preise in Stuttgart.
Viel Leidenschaft und Sinnlichkeit versprühte auch die Brasilianerin Loretta Pelosi Oliveira mit „Dolores“. Darin ging es der in einer weiten, weißen Hose auftretenden Tänzerin darum, dem Wesen der Weiblichkeit auf den Grund zu gehen. Diese Reise begann sie mit ihren Zehen, die ein Eigenleben zu entwickeln schienen und mit der Tänzerin tastend, zuckend und krabbelnd auf Wanderschaft gingen. Auf die Zehen folgten die Füsse, tanzende Finger und Hände, denen wiederum Bauch, Oberkörper und weitere Gliedmaßen folgten. Zu mitreißend groovender brasilianischer Popmusik präsentierte Pelosi eine Mischung aus Göttin, Femme fatale und selbstbewußter Verteidigungsfähigkeit.
Den ersten Preis Tanz gewann die Italienerin Linda Cordero Rijo mit dem ulkigen „No Room Service, Please“, kreiert von Beatrice Bodini. Einleitend schuf ein längerer englischer Text eine Stimmung der Unsicherheit und Beunruhigung, dem sich die Tänzerin mit einem großen Spektrum an Ausdrucksformen stellte.
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