LEUTE
München
ABENTEUERURLAUB FÜR KÖRPER, HIRN UND SEELE
Die Tanzwerkstatt Europa - Walter Heun im Gespräch
Am 1. August 2018 startet die Münchner Tanzwerkstatt Europa mit einem Gastspiel der zeitlos-famosen Kanadierin Louise Lecavalier. Insgesamt stehen sieben Aufführungen von zeitgenössischen Choreografen aus Belgien, Deutschland, Ungarn, Österreich und Frankreich auf dem Programm. Die Perfomance „Lisbeth Gruwez dances Bob Dylan“ am 4.8. entfällt ersatzlos!
Wer selber aktiv werden möchte, kann sein Tagespensum bei 13 verschiedenen Dozenten absolvieren. Das kreative Forum für tanzbegeisterte Amateure und Profis läuft bis 11.8. und endet gewohnheitsgemäß in einer öffentlichen „Final Lecture“. Am 6.8. geht das Format „Open Stage – Who’s next?“ in die dritte Runde. Nachdem sich 42 Kandidaten beworben hatten, musste eine Vorauswahl getroffen werden. Jetzt werden sechs Produktionen von Kursteilnehmern gezeigt. „Das ist“, so erzählt Walter Heun, Initiator und Künstlerischer Leiter der Tanzwerkstatt, „technisch zu bewältigen – mehr würde ein eigenes Festival bedeuten.“
Heun ist ein unermüdlicher Veranstalter. Seit 27 Jahren steht seine Tanzwerkstatt Europa für den kreativen Austausch der zeitgenössischen Tanzszene auf städtischer, nationaler wie internationaler Ebene. Der Mix aus Performances und Workshops hat sich bewährt. So wird die Begegnung zwischen Profis, Amateuren, Zuschauern und Tanzenden lebendig gehalten, das finanzielle Auskommen gesichert und ein Programm abseits von bloßer Gefälligkeit ermöglicht.
Herr Heun, was zeichnet die diesjährige Tanzwerkstatt Europa aus?
Wir haben uns diesmal bewusst kein Thema gestellt. Dafür sind ein paar richtige Neuentdeckungen dabei. Zsuzsa Rózsavölgyi am 5.8 beispielsweise und Louise Vanneste aus Belgien am 8.8. Als Ungarin präsentiert Zsuzsa in „1.7“ eine Körperperformance, die sich mit heutigen Frauenbildern auseinandersetzt. Eine sehr kluge, witzige Arbeit – allerdings bleibt einem das Lachen manchmal im Hals stecken, weil die Wirklichkeiten, die sie beschreibt, so ernst sind.
Im Fokus steht also das Neue, Zeitgenössische?
Man fährt durch die Lande, schaut sich verschiedene Produktionen an und bemüht sich, die zu holen, die etwas Besonderes auszeichnet, die dem Tanz neue Perspektiven eröffnen oder eine individuelle künstlerische Position markieren. Louise Vanneste, die in „Gone in a heartbeat“ vier Solos gleichzeitig ablaufen lässt, halte ich für eines der größten Talente des belgischen Tanzes. Außerdem fiel mir der Österreicher Willi Dorner und dessen Stück „one“ für zwei Tänzer auf: visuelle Poesie, der „einwortgedichte“ von Heinz Gappmayr zugrunde liegen (9.8.). Jan Martens dagegen collagiert in seinem Solo „Ode to the Attempt“ choreografisch die eigene Gedankenwelt und Lebensweise (3.8.).
Werden auch alte Bekannte präsentiert?
Noé Solier ist als Künstler etablierter. Er hat sich mit William Forsythe auseinandergesetzt, der zum Fan seiner Arbeit wurde. Nach Boris Charmatz und Jérôme Bel zählt Solier zu Frankreichs wichtigsten choreografischen Begabungen. Er bringt seine Gruppenarbeit „Faits et gestes“ zu barocken Kompositionsmustern von Johann Sebastian Bach und Johann Jakob Froberger nach München (10.8.). Es macht mir Freude, solche Künstler begleiten zu können, die Zuschauer mit auf eine Reise zu nehmen, sie mit bestimmten Aufführungen abzuholen und in anderen gegen ihre Sehgewohnheiten vorzugehen.
Wie klappt das trotz knappem Budget?
Aktuell bekommen wir einen Direktzuschuss von 160.000 Euro. Klar, fragen mich Kollegen, warum ich das noch mache. Aber die Tanzwerkstatt ist die ideale Plattform, um sich gemeinsam mit den Zuschauern Fragen über Entwicklungen und spannende Tendenzen im Tanz zu stellen. Zudem können meine eigenen Erfahrungen zum Schlüsselerlebnis auch für Leute werden, die erst noch einen Zugang zum Tanz suchen.
Zur Halbzeit erwartet die Zuschauer eine Uraufführung?
Ja – die gibt es bei unserem moderaten Budget sonst selten. Die größte Produktion verantwortet mit sieben Tänzern und Schlagzeugern der Münchner Philharmoniker die hier beheimatete Choreografin Sabine Glenz. In „Rhizom“ (7.-9.8.) will sie die Form des choreografischen Konzerts weiter erforschen.
Der enge Kontakt zu Künstlern ist Ihr Charakteristikum...
Mir geht es um die Auseinandersetzung mit der Tanzkunst – im Selber-Tun und im Erleben auf der Bühne. Das ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal – neben dem, dass wir jeden Künstler selber vom Flughafen abholen und Backstage persönlich betreuen. Natürlich existiert das große Impulstanz-Festival in Wien. In unserem kleinen Format – wird sind im Moment zu acht, die Praktikanten mitgerechnet – kann man allerdings viel freier, offener und intensiver arbeiten. Da stehen keine 60 Leute in einer Megahalle und können den Dozenten nur noch am Horizont erkennen. Wir bieten mehr Klasse statt Masse!
Was verbindet die zwei Schienen Workshops und Performances?
Ursprünglich haben wir sehr darauf geachtet, dass Künstler, die in Vorstellungen vertreten sind, auch unterrichten. Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass das Kursangebot andere Erfordernisse mit sich bringt als der Bereich der Aufführungen hergibt. Manches fügt sich aber rückblickend günstig. Quim Bigas, der beim letztjährigen Opening auf dem Wittelsbacher Platz zum Glücklichsein animierte, gibt erstmals einen Workshop. Und Louise Lecavalier – damals noch Frontfrau von Edouard Locks kanadischer Kompanie LaLaLa Human Steps, die wir uns nie leisten konnten – war schon als Dozentin bei uns. Nun wird sie mit ihrem Bühnenpartner Robert Abubo und ihrer jüngsten eigenen Arbeit „Battleground“ (1.,2.8.) die Tanzwerkstatt eröffnen.
Was bestimmt ihre Auswahl des Kursprogramms?
Die Frage, die uns leitet, ist: Was braucht ein Tänzer, was braucht ein Choreograf heute, wenn er sich für die Arbeit auf der Bühne vorbereitet. Das kann auch mit Gesundheitsprofilaxe und Rehabilitation zu tun haben. Wir bieten also Workshops in somatischen Praktiken an genau wie Tanztraining für alle Levels, vom Anfänger bis zum Profi. Jeder der Lust hat, ist herzlich willkommen.
Ein Tipp, wo man kurzfristig noch hin sollte?
Eine Lanze möchte ich für Kris Verdonck brechen, der seinen Workshop in der zweiten Hälfte geben wird. Der Belgier positioniert sich im Grenzbereich von Theater, Tanz und Bildender Kunst. Gerade beschäftigt ihn die Verbindung zwischen mechanischen Objekten, digitalen Medien und dem lebendigen Körper. Jeder, der in den darstellenden Künsten kreativ sein möchte – sei es ein Schauspieler, Performer, Choreograf oder Tänzer – kann hier eine Menge lernen.
Was passiert in der Final Lecture?
Selbst nach all den Jahren bleibt dieser öffentliche Ausklang der Workshops ein Erlebnis. Leute zu sehen, die vor dem ersten Kurstag nicht wussten, wo rechts oder links ist, tanzen nach 10 Tagen eine fünfminütige Kombination. Und das mit einer Leidenschaft, wie man sie nur bei Amateuren findet.
Haben Sie nie ans Aufhören gedacht?
Tatsächlich veranstalte ich die Tanzwerkstatt Europa seit 1991. Das Schöne daran ist: Es handelt sich um ein Format, das immer wieder neue Möglichkeiten bietet. Wir orientieren uns an den neuesten Entwicklungen. Tanz verändert sich ja ständig. Man kann schier Unglaubliches dabei entdecken und bekommt von den Kursteilnehmern, Künstlern und dem Publikum eine Menge Energie zurück. Einziger Wermutstropfen ist höchstens, dass man die Hälfte des Sommers mit Arbeit verbringt und die Ferien am Schluss für die Familie sehr knapp ausfallen. Ich selbst habe mich längst daran gewöhnt. Die Tanzwerkstatt ist mein Urlaub für die Seele.
Tanzwerkstatt Europa, 1.-11.8., Spielorte: Muffathalle, Hoch X, Schwere Reiter. Karten: 54 818181, Infos: www.jointadventures.net
Die Perfomance „Lisbeth Gruwez dances Bob Dylan“ am 4.8. entfällt!
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