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München
PARCOURS IN DIE HÖLLE DER SEHNSUCHT
Stefan Maria Marbs Butohperformance „Pygmalions Sehnsucht“ in der Antikensammlung der Glyptothek München
Auf der Bühne ist er ein Charaktertier. Schon 1986 hat der Würzburger Gerd Lohmeyer sein Lebenszentrum nach München verlegt. Man kennt ihn – von Aufführungen im Metropoltheater, Filmrollen oder als Michael Gerstl in der BR-Serie „Dahoam is dahoam“. Nebenher probiert er gern Neues aus. So tauchte der versierte Vollblutschauspieler, wohl durch die Sängerin Berta Rieder angesteckt, vor vier Jahren in Stefan Maria Marbs Butohatelier auf.
Lohmeyer und Rieder haben schon oft zusammengearbeitet. Nun verbinden sie in Marbs choreografischem Parcours „Pygmalions Sehnsucht“ ihre Stimmkünste mit körperlicher Vehemenz. Es ist die sechste Auseinandersetzung des Münchner Butohtänzers mit der Antikensammlung der Glyptothek – aber erstmals ein großes Gruppenprojekt. Für musikalische Live-Akzente sorgt mit seinem Cello Jost-H. Hecker. Die Rolle, in die Lohmeyer schlüpft, ist der geflügelte Götterbote Hermes. In antikem Gewand, den Lorbeerwedel zur Hand, beginnt er in einem Prolog Rainer Maria Rilke zu rezitieren. Es ist die sinnliche Aufforderung ans Publikum, einer Prozession zu folgen, die er de facto tanzend durch die mit Statuen gefüllten Säle führt. Raum für Raum kauern – verschmolzen mit ihrer jeweiligen Lieblingsskulptur – insgesamt 15 bleichgeschminkte TänzerInnen. Nicht alle sind knackig jung. In ihren Bewegungen, ganz von den in statische Posen gebannten Marmorvorbildern inspiriert, spiegeln sie den Altersquerschnitt der Zuschauer wider.
Schnell merkt man, dass es um eine Reise ins Gefühlsinnere geht und den Mut loszulassen. Darum, ausgetretene Pfade zu verlassen und Sehnsüchte mit neuen Impulsen aufzufrischen. Ob Tochter des legendär-schlaftrunkenen Barberinischen Fauns oder Alter Ego einer antiken Raubkatze: Wen Hermes aus immobiler Trance erweckt gesellt sich nach und nach zum Zuschauertross. Auch Berta Rieder, die als Schicksalsallegorie mit Händels Arie „Cara sposa“ aus der Oper „Rinaldo“ die TänzerInnen weiter entrückt und schließlich in ihrer Schritttechnik mehr und mehr erdet, reiht sich in den Pulk aktiver und passiv beobachtender PilgerInnen ein.
Seine drei Steigerungsmomente hat Regisseur und Choreograf Stefan Maria Marb ans Ende der Performance gelegt. Unter dem Giebelfries der Ägineten wird die Versehrtheit der bildhauerischen Exponate zum Sterben der Soldaten vertanzt. Leben bedeutet, so Marb, eben auch Kampf. Und der Tod steht beim Butoh für Verwandlung. Womit sich die Klammer zum Titel und Ovids „Metamorphosen“ schließt, bevor im Raum der Philosophenköpfe anhand eines introvertierten Gestenvokabulars stumme Dialoge um Zweck und Ziel des Seins entbrennen.
Inmitten der Büsten klassisch grausamer Machtmenschen wie Nero, Titus und Hadrian lässt Marb alles in einem Höllenszenarium des Schmerzes gipfeln. Wild und dynamisch ungezügelt manifestiert sich in verzerrten Körpern Leidenschaft und ungestillte Sehnsucht. Hellschallend von Hermes belacht. Weil Museen längst keine Orte mehr sind, in denen es nur Kunstobjekte zu bewundern gilt, ziehen die Interpreten das Publikum gnadenlos mit.
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