LEUTE
Regensburg
FLUSSGESCHICHTEN
Ein Interview mit Alexandra Karabelas, Katrin Hofreiter und Vera Ondrasikova
Am Wochenende gab es in Regensburg erstmals Einblicke in das von der Tanzstelle R neu ins Leben gerufene Residenzprogramm RIVERS für Choreografen. Im Rahmen des Treffpunkt-Festivals wurde in der Ostdeutschen Galerie das Duett „Stones and Flows“ als deutsch-tschechischer Dialog gezeigt. Neben den beiden Performern Cindy Hammer (Dresden) und Martin Talaga (Prag) reflektiert die Regensburger Malerin Inken Hilgenfeld zeichnend den stillen Tanz der beiden. Basis der Performance war ein während des Probenprozesses erarbeitetes Bewegungsmanifest.
Über die Hintergründe des Residenzprogramms sprach Miriam Althammer für tanznetz.de mit den beiden Leiterinnen der Tanzstelle R – Alexandra Karabelas und Katrin Hofreiter – sowie der tschechischen Choreografin und ersten Residenzkünstlerin Vera Ondrasikova.
Wie kam es zur Idee eines Residenzprogramms für Choreografen in Regensburg?
AK: Die Tanzstelle R besteht in Regensburg seit 12 Jahren und wir haben uns viel dafür engagiert, nicht nur eigene Stücke zu machen, sondern uns mit bayerischen Kollegen zu vernetzen und so das Umfeld hier zu verdeutlichen, um nicht nur als Choreograf mit Fördermitteln von Stück zu Stück zu wandern. Dabei habe ich gemerkt, dass ich Lust auf einen offenen Prozess hätte. Ich hatte tatsächlich schon länger ein solches Residenzprogramm im Kopf. Es was aber nicht möglich, das bei einem Regensburger Kulturakteur unterzubringen.
KH: Ich war interessiert an mehr Austausch und daran, das künstlerische Wissen, das sich über Jahre ansammelt und worüber man gar nicht spricht, zu teilen. Besonders begeistert mich der Fluss-Gedanke, der in RIVERS steckt: das Fließen und Verbinden. Diese Energie ist spürbar bei unserem Projekt – als treibende Feder, die alles voran bringt. Man wird sehen, wohin es gehen wird. Aber wenn man sich da mittreiben lässt, dann kann etwas Gutes entstehen.
Das Residenzprogramm umfasst in seiner Struktur die drei Länder Deutschland, Tschechien und Österreich. Warum genau diese und was sind die Rahmenbedingungen?
AK: Ich wollte unbedingt mal mit Tschechien arbeiten. Die Rahmenbedingungen sind, dass man mindestens eine Woche in einer Stadt der jeweiligen Länder mit einem Partnerchoreografen verbringen muss. Wir sind kommunal gefördert, die Stadt Regensburg unterstützt uns wie auch das BLZT. Außerdem ergänzen wir das Budget um Drittmittel. Die Auswahl der Städte ist komplett frei – wir suchen uns Partner und Institutionen, die daran interessiert sind, mit uns in Austausch zu treten.
Was verbindet die Donau und das Residenzprogramm RIVERS?
AK: In Regensburg gibt es sehr viele Kulturprojekte in Bezug auf die Donau. Das ist eine riesige Makroregion. Schnell haben wir festgestellt, dass es bei all diesen Projekten gar nicht nur um die Donau geht, sondern vielmehr um die Menschen, um Kontakte, Austausch und Wissen. So kamen wir auf den Namen RIVERS, also Flüsse. Denn überall gibt es Flüsse und jeder hat eine eigene Fluss-Erfahrung. Das ist unser gemeinsames Dach.
Die erste Residenzkünstlerin ist Vera Ondrasikova, sie lebt und arbeitet in Prag. Wie haben Sie den Kontakt zueinandergefunden?
VO: Durch einen Zufall. Wir haben uns bei einer Audition für ein früheres Projekt von Alexandra kennengelernt, an dem ich dann jedoch nicht teilnehmen konnte. Nun klappt es endlich in einer anderen Formation. In Tschechien konzentriert sich die Tanzszene mehrheitlich auf Prag, dort gibt es das jährliche Festival Tanec Praha. Mit Stücken tourt man dann eher in anderen Städten – aktuell mache ich das mit einem von Aerowaves ausgewählten Stück.
Und wie läuft Ihre Zusammenarbeit konkret ab?
VO: Ich habe eher die Rolle der externen Beobachterin, die Ideen vorschlägt. Alexandra entscheidet dann, welche Ideen wir weiter verfolgen wollen.
AK: Im Januar fand eine erste Residenzwoche mit den beiden Tänzern Cindy Hammer und Martin Talaga statt, mit Vera schon im Hinterkopf. Wir haben Bewegungsaufgaben entwickelt, Zustände beschrieben – und nach diesen fünf Tagen alles notiert. Es war ein intensiver Prozess, in dem wir auch an die Donau gefahren sind, um ganz elementar mal die Kälte am Wasser zu spüren. Und daraus ist ein Bewegungsmanifest entstanden, das ich an Vera weitergebe. Wir werden dieses Jahr weitere Tage zusammen verbringen – in Regensburg oder Prag – und dieses Manifest bearbeiten. Und natürlich per Mail und einem Open Document den Prozess weiterführen, damit die verschiedenen Themen der nächsten Monate mit einfließen können. Vera nimmt das Manifest also nun mit in ihre Welt als Choreografin. Ich bin interessiert daran, von ihr zu lernen – wie sie choreografiert und den Körper definiert.
Was bedeuten das Format der Residenz und die Prozesshaftigkeit, die Sie mit RIVERS reflektieren, für Ihre Arbeitsweise?
AK: Bis letztes Jahr habe ich immer ein Stück gemacht, das hatte einen Titel und ein Thema, und ist dann aufgeführt worden. Regensburg hat so was wie ein Residenzprogramm bisher nicht gehabt – und ich finde es wichtig, zu vermitteln, dass Kunst Prozess und Praxis ist, und nicht auf Ausbeutung und einem Produkt beruht.
Residenz bedeutet für mich, mehrere Tage im Studio miteinander zu verbringen, ohne am Ende ein fertiges Stück zu produzieren. Einfach zusammen zu sein – so sind wir in die Residenz mit den beiden Tänzern gegangen. Auch ich als Tanzschreiberin habe mich mitbewegt, wir haben keine Grenzen gezogen und viel ausprobiert.
VO: Es geht um Inspiration. Nicht darum, das Manifest zu verändern, sondern etwas weiterzudenken. Manchmal reicht ein Satz, um einen neuen Kontext zu öffnen. Während eines Kreationsprozesses steckt man normalerweise zu sehr in einer Innenperspektive und nimmt manchmal nicht mehr wahr, was schon alles da ist.
Ein Manifest ist ja etwas Vor-Geschriebenes und beinhaltet immer auch Regeln und Aufgaben. Was bedeutet das Manifest für Sie?
AK: In unserem Manifest stecken viele Aufgaben: Wie gehe ich mit meinem Fokus um? Woher kommt die Bewegung? Und wer bist du in der Bewegung? Wir kreieren nicht, wir akzeptieren die Stille. Wir springen, wenn Sprünge kommen wollen. Wir folgen der Natur... Ich gelange in meiner künstlerischen Arbeit damit erstmals in das Feld des Machens. Die Performance ist wie eine Meditation.
Österreich ist das dritte Land in Ihrem Residenzprogramm. Wie ist der Stand der Dinge bei dieser Zusammenarbeit?
KH: Mit Österreich geht es gerade erst los. Ich werde mit der Wiener Choreografin Katharina Weinhuber zusammenarbeiten – und wir werden uns nur über Videobotschaften austauschen, also weder uns treffen noch telefonieren. Gerade bauen wir zwei Stränge auf: Der Erste ist Material, das ich choreografisch erarbeite und ihr dann zuschicke, damit sie es wiederum überarbeitet. Ich schicke ihr also 'meine' Regensburger Donau, die ich hier aufnehme. Und der Zweite ist das Material 'ihrer' Donau in Wien, mit der sie das gleiche macht. Der nächste Schritt ist, dass wir getrennt voneinander Stücke kreieren und diese erst am Aufführungsort zusammenführen. So können sich diese zwei Energien oder Flüsse miteinander verbinden. Und dann schauen wir, was da passiert.
Das klingt fast so, als ob Sie das Format der Residenz infrage stellen würden.
KH: Nein! Die Residenz funktioniert ja über das Internet und die Videobotschaften, die wir uns gegenseitig schicken. Residenz bedeutet nicht, an einem gemeinsamen Ort zusammen zu sein. Residenz kann auch anders definiert werden. Und ich bin dankbar, dass das im digitalen Zeitalter nun möglich ist.
AK: Und es ist ja eine spezifische Beschäftigung, wir sind ja hier in Regensburg – nicht in Berlin oder München. Katrin nimmt sich hier die Donau vor – und insofern ist es ein regionales Projekt, das sich auch in die Stadt einspeisen wird. Eine Residenz bedeutet Künstler und ihr Prozess. Und ohne das Dach des Residenzprogramms wären wir ja gar nicht auf die Idee gekommen, jemanden für eine Zusammenarbeit anzufragen.
Was erhoffen Sie sich für Ihre künstlerische Arbeit von dem Austausch, der durch das Residenzprogramm entsteht?
AK: Ich wünsche mir Synergien für mich als Künstlerin hier in Regensburg. Und dass, dadurch das immer mehr Künstler dazukommen, ein ehrliches Schauen auf die Arbeit erfolgt, wie auch mehr Gelegenheiten entstehen für Auftritte. Also dass Kräfte und Netzwerke aktiviert werden – und man selbst nicht mehr so sehr von den Veranstaltern abhängig ist. Das ist ein alternatives Moment in Regensburg.
KH: Ich wünsche mir, dass man genauer hinschaut. Es gibt sehr viele freie Künstler in Regensburg, die jedoch immer nur das Endprodukt zeigen. Man sieht nicht den Weg, der dahin führt. Durch ein Residenzprogramm wird das aufgebrochen und ein Zuschauer erfährt mehr darüber, wie ein Austausch ablaufen kann und wovon ein Künstler profitiert. Das gibt es sehr wenig in Regensburg.
Stichwort Zuschauer. Neben der Performance findet auch ein Workshop statt, der offen ist für Ihr Publikum.
AK: Ja genau! So erhält das Publikum mehr Einblicke in unsere Arbeit. Alle, die Lust haben, unsere Arbeit und auch das Bewegungsmanifest besser kennenzulernen, sind dazu herzlich eingeladen – egal ob Laie oder Tänzer.
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