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München
DER BLICK IN DEN SPIEGEL
Judith Hummels "AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us" in der Galerie der Künstler
Die Performance "AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us" ist strukturell gestaltet wie eine Ausstellung. Drei Stunden lang kann man sich die Aktposen der drei Performerinnen, Ruth Geiersberger, Heidi Schnirch und Naima Ferré anschauen. Dabei bleibt es dem Zuschauer freigestellt, ob er im „Ausstellungsraum“ aufhält, zwischendurch die Performance verlässt und wieder kommt oder nur für zwanzig Minuten die Aktposen betrachtet. Der Rezipient entscheidet selbst, wie lange er welchen Körperteil oder welchen Körper, von welcher Perspektive, von welchem Platz im Raum aus betrachten möchte. Grob lassen sich in den Aktposen Kapitel erkennen. Judith Hummel erklärt, dass „die Performerinnen während des Probenprozesses lediglich Regeln und Vereinbarungen erlernt haben, welche die zeitliche Dauer der Positionen, den Umgang mit Blick und Stimme und die Komplizenschaft als Team“ betreffen. Im nächsten Satz erwähnt Hummel jedoch sofort, dass Regeln auch immer gebrochen werden können. Die Performerinnen und auch der Musiker Klaus Janek, der seine Soundscapes live entstehen lässt, besitzen in der Performance eine Eigenständigkeit. Es gibt eben keine festgelegte Choreographie – hinter der Arbeit steckt ein Kompositionsgedanke.
Der Raum ist mehrdimensional gestaltet. So gibt es an einer Wand eine fixe Komponente: Drei Spiegel, die wie ein Triptychon angeordnet sind, deren Lichtreflektion vom Scheinwerferkronleuchter wie ein Lichtaltar wirkt. Es entsteht eine Art unbewegliche Lichtskulptur. Die Bewegung findet auf einer anderen Ebene statt: Die Performerinnen treten an die Spiegel heran, agieren mit den Spiegeln und dem Licht, machen die Ebenen beweglich. Durch die Spiegel eröffnet sich ein weiterer Sinn: Sie dienen nicht nur zur Interaktion mit den Performerinnen, sondern stellen auch einen Kontakt zum Publikum her, genauso wie sie zu einem Kontakt zwischen den Zuschauern provozieren. Die Performerinnen können in die Spiegel blicken und dadurch ihre Beobachter selbst beobachten – aus ungeahnten Blickwinkeln. Genauso können die Zuschauer auch die Performerinnen aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Interessant ist, dass die Spiegel dazu dienen, als Zuschauer andere Zuschauer oder sich selbst zu inspizieren. Neben dieser voyeuristisch anmutenden Eigenschaft tut sich ein weiterer, sehr verfremdender Effekt auf: Der Blick in den Spiegel, auf die Podeste und Tänzerinnen lässt das Bild der Performance sehr bildnerisch werden: Das Bild ist in seine Zweidimensionalität zurückgeführt - also zum Ursprung, dem Ergebnis der Aktzeichnung, und gleicht einem Gemälde.
Die ersten Posen der drei Tänzerinnen kennzeichnen offensichtlich den Akt. Lange zieht sich die „stumme Bewegung“ hin, es findet kein Austausch mit dem Publikum statt, die Zuschauer können sich an den Raum und an die Konfrontation mit den nackten Körpern gewöhnen. Aus den Haltungen, die die Performerinnen im Akt einnehmen, entstehen Neukontextualisierungen durch befreiende, aus dem Akt fallende Bewegungen. Akt bedeutet auch Bewegung, nur wird diese im Stillstand dargestellt, um dem, der abbildet, das Körperstudium über Muskeln, Gelenke und Proportionen zu gewähren. Bei Judith Hummel ist nicht der „schlafende Körper“, das „schlafende Akt-Modell“ gesucht, sondern der aktive, performende Akt, der nicht nur altbekannte Bilder verändern und neue Imaginationen und Illusionen beim Zuschauer hervorrufen kann, sondern der in Kontakt mit dem Zuschauer tritt und somit eine völlig neue Subjekt-Objekt-Beziehung herstellt. Zunächst auf den drei Podesten ausgestellt wie Modelle, erscheinen sie in ihrer ursprünglichen Idee inszeniert. Jedoch verändern die drei Performerinnen durch ihre Interaktion mit den Podesten, die sie durch den Raum bewegen, und durch ihre pointierten Bewegungen auf den Zuschauer die ursprüngliche Bedeutung des Aktmodells. Sie sind nicht mehr diejenigen, die als Akt und somit als Objekt untersucht werden, sondern sie diskutieren – ohne Worte und doch vereinzelt mit ihren Stimmen – durch Blicke mit den Zuschauern über die Situation des Hier und Jetzt.
Die gezeigten Aktposen sind unter anderem Referenzen zu bekannten Venus- und Olympia-Darstellungen. Judith Hummel erzählt, dass sie in den Bereichen Malerei, Bildhauerei und Fotografie die verschiedenen Darstellungen recherchiert hat und deren aktive und passive Körpersprache in Gesprächen mit Ruth Geiersberger, Heidi Schnirch und Naima Ferré diskutierte. „Das Reden war sowieso ein wichtiger Teil des Arbeitsprozesses, auch, um sich den verschiedenen persönlichen körperlichen Bezügen zum Thema Akt anzunähern.“ Hilfreich waren dabei auch der gemeinsame Sauna-Besuch im Müller’schen Volksbad und das gemeinsame Akt-Stehen in der Zeichenklasse der Münchner Kunstakademie. Judith Hummel nimmt sich bescheiden zurück, wenn sie von ihrer kunstwissenschaftlichen Arbeit im Entstehungsprozess von "AKT" spricht. Ihr Blick von außen auf die verschiedenen Ebenen der Performance war prägend für das, was letztendlich entstehen konnte: Performances in der Performance. So agieren Performerinnen, Musik, Podeste, Licht und Spiegel auch unabhängig voneinander und lassen Bilder und Assoziationen entstehen. Genau darin liegt die Stärke der Performance: Das Loslassen-Können, vor allem von den „schlafenden Bewegungen“, der Übergang in andere Formen und die Möglichkeit, neue Bilder entstehen zu lassen. Es werden die Spuren von Venus und Olympia aufgesucht, auf den eigenen Körper projiziert und weiterentwickelt.
"AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us" ist wieder am Dienstag, 29. Juli (15-18 Uhr) und am Mittwoch, 30 Juli 19-22 Uhr (Finissage) in der Galerie der Künstler, Maximilianstraße 42, München zu sehen.
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