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München
SEELEN-STRIPTEASE
Daniele Ninarello und Adam Linder im Schwere Reiter
In Frankreich sagt man “le repérage”, was zu Deutsch so viel wie Ortung, Peilung, Ausfindigmachen, Standortbestimmung heißt. Bei der Münchner Tanztendenz heißt dieses Wort auch zusätzlich „side.kicks“. Dieses quirlige Programm, das als deutscher Beitrag an das Festival Le Grand Bain nach Lille entsendet wird, wird dem tanztendenzschen Vorsatz, eine Vielfalt von möglichen Formaten, organisatorischen Vorgehensweisen und künstlerischen Strategien zu dokumentieren, mehr als gerecht.
Als Teil dieses Programms traten im Schwere Reiter zwei Choreografen auf mit Solos, die in ihrer Verschiedenheit diese Vielfalt hervorragend widerspiegeln. Daniele Ninarello und Adam Linder erkunden, jeder auf seine ganz eigene Weise, den sonst eher unauffälligen, ungeschmückten tänzerischen Studioraum, in dem sich Körper und Geist be- und wiederfinden.
Mit seinem Stück "Non(leg)azioni" gleicht Ninarello einem Vogel, der mit Anmut und Sanftheit die Grenzen seines Käfigs und die Beschaffenheit des darin enthaltenen Raums ausführlich auskundschaftet. Im Auftakt bei grellem Neonröhrenlicht bildet allein das Quietschen seiner schweren, mit Gummi besohlten Schuhen die anfängliche Geräuschkulisse. Dann entflieht der italienische Choreograf dem Ballast dieser Schuhe und flattert mit Hand, Fuß und Psyche in einem warmen Licht, das gezielt im seitlich geworfenen Schatten sein suchendes Wesen vervielfacht. Das Quietschen wird durch J.S. Bachs Lautensuiten ersetzt, die auch auf ihre melodische Art den Raum untersuchend abtasten. Im Flackern seiner Arme und Beine gleicht er der Flamme um eine Fackel. Gelegentlich schmiegt er sich ganz still an die Wand, später lässt er seine ausgestreckten, gezielt beleuchteten Finger in der Luft vibrieren, als ob er aus dem Nichts die Lautensuiten selbst herbeizaubern würde. Zuletzt gleitet und pulsiert Ninarello so schnell, aber auch so liebevoll, in der ihn umgebenden Luft, als ob er sich mit der Atmosphäre vermengt hätte. Das Solo – eine Deutschland-Premiere – war das Sinnbild für die Seele, die weiß Gott wo im menschlichen Wesen eingefangen ist und versucht, diesen Raum zum Leben zu erwecken.
Nach der Pause und der lyrischen Belebung des Raums, definiert Linder mit "Cult to the Built on What" die Tanzfläche auf extrem andere Weise. Die „drei Performer“ – Linders Körper, ein Stehpult und die (englische) Sprache – setzen sich für einen dreisten Rap ein, der sowohl gesprochen als auch getanzt wird. Während das Stehpult ganz kühl und indifferent tut, sucht Linder aktiv Kontakt und Dialog mit dem Publikum und gewinnt seine Aufmerksamkeit - für mal trashige, mal poetische, aber immer rhythmische Rap-Strophen, die der Lyrik der amerikanischen Beat-Generation gleichen und in der Wiederholung einen maschinenartigen Touch bekommen. Dabei wellt er seinen Körper in einem geschmeidigen Lap Dance und twerkt dem Stehpult entgegen. Zuckend, fast knisternd wird er zur menschlichen Verkörperung von elektrostatischer Aufladung, hält plötzliche inne, dann schmollt er - „crop your legs.... mmm.... crop your legs... mmm... I’ll make you wanna leave her twiiiiiice“. Er stolziert durch den Raum, und das herabhängende Ende seines Gürtels gibt sich für das befreite Glied aus, während abwechselnd eine weibliche und eine männliche Stimme in einer Bearbeitung von ‚Slowly’ klagt, „For you I put this dress on, for you I put a stress on, act like you know me, act like you know me“. Die schräge, sexy Aufführung fügt die Elemente der Rap-Subkultur humorvoll und effektiv mit denen der Kunst-Performance zusammen. Das Finale erbringt gleichgültig, fast herablassend das Stehpult; Linder fordert das Publikum zum Schluss auf, ihm (also dem Stehpult) Beifall zu klatschen.
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