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München
LICHTERSPIELE
David N. Russo in der St. Mauritius-Kirche
Was erwartet man von einer Tanzperformance, die in einer Erzdiözese angekündigt wird? Was ist in einem Raum, wie einer katholischen Kirche, für einen zeitgenössischen Choreografen möglich? Geradezu andächtig betreten die Zuschauer die moderne Mauritius-Kirche, in der bereits Jugendliche und Kinder in den drei Seiten der Bankreihen sitzen und auf den Altarbereich blicken, wo ein Mädchen singt und ein Junge Gitarre spielt. Besinnliche Musik, Ankommen in einem sakralen Raum, so beginnen die ersten Minuten. Die Reihen füllen sich langsam. Mit dem zweiten Lied lockert sich die Atmosphäre: „Kiss me“ von Sixpence None The Richer. Die Lichter über den Bänken der Zuschauer erlöschen, die letzten Glühbirnen über dem Altar leuchten. Es ertönt Joan Osbornes „What if God was one of Us“, ein Schmunzeln geht über die Gesichter der Zuschauer und es deutet sich an, dass die Kirche aus seiner sakralen, scheinbar unnahbaren Bedeutung gehoben und in einen greifbaren, alltäglichen Zustand gesetzt wird. Das letzte Lied schließt mit dem Satz „I hope that you remember me“. Es wird dunkel in der Mauritius-Kirche.
Ein kleiner Lichtpunkt huscht über die Betonwand. Dann noch einer. Die Videoprojektion von Georg Trenz beginnt. Sie zeigt zunächst wenige Lichter, die sich zu einem Sternenhimmel formen und sich dann so verdichten, dass Buchstaben zu erkennen sind: „Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich“, ein Teil aus Jonas Gebet (2,4). Nach und nach treten die Tänzer und Tänzerinnen, ohne Stilisierung, in Gehbewegungen zum Altar heran und legen sich dort zu Boden. Je mehr Tänzer die Bankreihen verlassen, desto mehr ist die Kühle des Raums des Betongemäuers zu spüren. Die klare Musik von Florian Hartlieb unterstützt die Atmosphäre maßgeblich. Sobald sich alle Tänzer um den Altar versammelt haben, dirigiert der Rhythmus der Musik, wie ein Herzschlag, wie die mysteriösen Klänge von Seebeben die wellenartigen Bewegungen der Jugendlichen und Kinder. Letztendlich ist nicht der gläubige Charakter der Bibelstelle auf die Tanzperformance zu übertragen, sondern die Bedeutung der Worte: Einer bewegt sich und mit dieser Bewegung wird eine Welle ausgelöst, die die anderen zu Bewegungen anleitet. Diese Idee zieht sich durch die Tanzperformance und macht den gemeinschaftlichen Charakter der Jugendlichen und Kinder aller Altersstufen der Ballett-Akademie (HfMT), von der Grundstufe bis zur Abschlussklasse, deutlich. In „Im_puls“ werden durch die auditiven Reize die Bewegungen angeleitet. Zeitgenössische, alltägliche Bewegungen verschmelzen mit der Stimmung des Lichts von Rainer Ludwig.
Was geschieht mit dem kirchlichen Raum während der Performance? Die Tänzer kriechen über den Altarboden, rennen durch den Raum, schlüpfen unter dem Altar hindurch, durchqueren die Bankreihen, springen über die Altarstufen. Alles ist erlaubt, nichts verboten. Die Dimensionen des Raumes verändern sich nicht nur mit den Videoprojektionen von Georg Trenz, die die Decke des Gebäudes zu öffnen scheinen. Durch die Einlasssituation wird dem Zuschauer vergegenwärtigt, in welcher sakralen Räumlichkeit er sich befindet. Doch diese Dimension wird gerade durch die Bewegungen und die Art und Weise, wie David N. Russo in seiner Choreografie mit dem Raum umgeht, aufgebrochen. Die Mauritius-Kirche ist ein modernes Gebäude, mit einem Raum, auf den man als Zuschauer Bedeutung projiziert. Russo spielt genau mit der sakralen Projektion auf den kirchlichen Raum und bricht diese auf, ohne dabei profan zu werden: Am Ende wird der Zuschauer Teil von einer Tanzperformance, in der er die tragende Kraft der Musik erfährt.
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